Am Freitag ist Max ausgezogen. Das Findelhündchen aus einem Graben nahe der polnischen Grenze hat ein wundervolles Zuhause bekommen, besser hätten wir beide – Max und ich – es nicht treffen können (außer, er wäre bei mir geblieben): Er lebt nun bei meiner Cousine und ihrem Mann, die ihr Leben lang Hunde hatten und mit ihnen so umgehen, wie ich (was ich selbstverständlich für kaum zu übertreffen halte). Außerdem nehmen sie meine unendlichen pädagogischen Ratschläge (aus lauter übertriebener Mutterliebe, die aber durchaus als nervtötendes Klugscheißen mißverstanden werden könnten) nicht nur hin, sondern ernst. Er lebt ganz in der Nähe, geradezu katzensprunghaft, und lebt trotzdem ein neues, eigenes Leben.
Er scheint sich wunderbar zu amüsieren, wird von morgens bis abends bespaßt, er hat eine Grundausstattung bekommen, die meine Hunde vor Neid erblassen ließ („from Rags to Riches“, wie der Engländer sagt) und lauter pädagogisch wertvolles Rassel-, Quietsch- und Holzspielzeug. Ununterbrochen rennt jemand mit ihm in den Garten in der Hoffnung auf regelmäßige Entleerung, ansonsten hält er eisern an seinen Schlaf-, Spiel- und Essensritualen fest.
Nur ich bin todtraurig, auf geradezu absurde Weise: Dabei wußte ich doch von Anfang an, dass ich ihn nicht behalten könnte/würde. Aber wer konnte ahnen, dass er ein so guter Hund werden würde? So fröhlich, charakterstark, mutig und ungeheuer schlau? Rotznasenfrech und unerschrocken außerdem, wie alle meine Hunde. Und nicht zu vergessen: Charismatisch. Max ist nicht nur ein niedlicher Welpe, er hatte wirklich Ausstrahlung. Eine Hundetrainerin, mit der wir letzte Woche spazieren gingen, meinte: „Ich bin jetzt schon auf Deine Cousine eifersüchtig, dabei kenne ich Max erst seit zehn Minuten!“
Acht Wochen sind eine lange Zeit, während einer so unglaubliche Entwicklungen durchmacht, vom Meerschweinchen zum richtigen Hund:
Und natürlich hatten wir noch keinen dieser Momente erreicht, in denen man sich so über seinen Hund ärgert, dass man ihn für drei Minuten zur Adoption freigeben möchte; bisher machte er ja praktisch nichts falsch (abgesehen von dem tiefen Loch in meiner nagelneuen, sehr luxuriösen Badematte, die ich mir nach langem Zögern geleistet hatte, oder dem Riß in einer Seidenbluse, als er auf meinem Arm strampelte wie verrückt und mit seinen scharfen Krallen das zarte Material zerfetzte – naja. Eine Nano-Sekunde lang dachte ich: „Hmmm, time to say good-bye“ , einen Moment später aber: Was kann das arme Tier dafür.)
Aber fünf Hunde sind trotzdem zuviel. Natürlich hat er einen ungeheuer großen Teil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und natürlich haben meine anderen Hunde sich dafür gerächt durch vermehrte Jagdversuche oder Tomaten auf den Ohren. Obwohl Fritz ihn heißt liebt und Harry Max‘ Körperhygiene ausgesprochen ernst nahm (Ida dagegen ließ die Korken knallen, als Max sein Ränzel schnürte).
Also habe ich eine durch und durch rationale Entscheidung getroffen, komplett gegen alle Gefühle, Herz und was da sonst noch alles so mitspielt, und ein anderes Zuhause für ihn gefunden (auch wenn er wirklich ganz, ganz nah bleibt). Ich komme mir vor, als wäre ich eine Affäre eingegangen, wohl wissend, dass der andere verheiratet ist, und dummerweise wurde aus der Affäre eine richtige Liebesgeschichte. Und aufgrund aller möglichen äußerlichen Faktoren trennt man sich – nicht, weil man sich nicht liebt, sondern, weil man so ungeheuer vernünftig ist.
So jedenfalls fühlt es sich an. Oder so stelle ich es mir vor. Was weiß ich schon davon.
Meine arme Cousine hatte das Gefühl, mir Max unrechtmäßig zu entwenden, als sie ihn abholte. Alle Vorkehrungen, die wir vorher getroffen hatten – sie viele Male mit Max spielen lassen, die Wohnung mehrfach besuchen, damit Max einen Wiedererkennungseffekt haben würde – dienten eher meiner Beruhigung, als Max. Der Übergang war trotzdem nicht sanft genug für mich.
Ich würde es wieder tun, na klar. Mich verlieben, oder einem weggeworfenen Hündchen ein neues Leben bereiten.