Wie denken Hunde?

bildvom 8.1.2012

Aus irgendwelchen Gründen glauben Menschen immer wieder, dass das Hunde-Hirn genauso funktioniert, wie unseres. Dies ist ein Fehler, nicht nur, weil es allem widerspricht, was wir je gelernt haben über die Intelligenz und das Abstraktionsvermögen des Menschen, sondern weil es Erwartungen an den Hund stellt, die dieser unmöglich erfüllen kann.1_123125_2083697_2112299_2127418_051004_hp_dodogsthink_tn
Neulich wandte sich jemand an mich, dessen gewöhnlich freundlicher und wohlerzogener Rottweiler das ganze Haus auseinander nahm, seit seine Besitzerin wieder zur Arbeit ging, nachdem sie jahrelang zuhause geblieben war. Bei ihrer Rückkehr vom Büro fand sie regelmäßig den Inhalt des Mülleimers im Haus verteilt, der Hund pinkelte in jeden Raum, schließlich zerkaute er systematisch sämtliche freiliegenden Kabel und heulte so laut, dass die Nachbarn sich beklagten. „Ich weiß, was hier los ist“, erklärte mir die Besitzerin, Tanja. „Robbie ist wütend auf mich, weil ich ihn alleine lasse. Er bestraft mich. Wenn ich nach Hause komme, ist er das personifizierte schlechte Gewissen, also weiß er, dass er böse war.“ Robbie, so lautete ihre Theorie, wollte sich mit seinem schlechten Benehmen an seiner Besitzerin rächen, weil er weniger Aufmerksamkeit bekam als früher. Selbst Tanjas Mutter konnte zu dem Fall beitragen, dass auch Tanja als Kind immer Wutanfälle bekommen hatte, wenn die Mutter zur Arbeit ging. Tanja und Robbie waren wohl so symbiotisch, dass sie sich in Krisenzeiten ähnlich verhielten. Indem er ihr nicht mehr gehorchte, wollte Robbie Tanja heimzahlen, dass er allein gelassen wurde. Das sagten alle.
Aber alle irrten sich. Auf einen Menschen wütend zu sein, weil der etwas tut, was dem Hund nicht gefällt, und sich aus Trotz daneben zu benehmen, ist ein Gedankengang, den ein Hunde-Gehirn nicht leisten kann. Stattdessen war Robbie völlig verunsichert, dass er so lange alleine war – er fürchtete sich schlicht. Wenn Tanja zuhause war, gab sie die Regeln und Abläufe vor. Als sie plötzlich viele Stunden nicht mehr da war, wusste Robbie nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Er war nicht daran gewöhnt worden, alleine und nicht abhängig zu sein. Viele Hunde werden nervös, wenn sie nicht einschätzen können, was von ihnen erwartet wird. Robbie war unruhig, er bellte, zerkaute, kratzte, machte kaputt. Ihn hinterher anzuschreien und zu bestrafen machte wenig Sinn: Wenn keiner da ist, der ihm sagt, dass sein Verhalten falsch ist, wie soll er dann wissen, dass er sich falsch verhält? Robbie hatte keine Ahnung, dass Tanjas Arbeitsleben sich verändert hatte, er reagierte also nicht auf Gefühle und überlegte sich auch keinen Rachefeldzug: Er war einfach alleine und langweilte sich, und irgendwie musste er die Zeit ja herumkriegen. Außerdem war das Haus sehr groß, und Robbie war überfordert mit der Verantwortung, darauf nun ganz alleine aufpassen zu müssen. Kaum ließ Tanja ihn in einem einzelnen Raum mit leise murmelndem Radio und einem Hundesitter, der regelmäßig mittags kam, um mit ihm spazieren zu gehen, wurde alles gut.
Hunde sind nicht hinterhältig oder gehässig. Sie lieben Routine: Nichts scheint Hunden mehr Sicherheit zu geben, als jeden Tag in etwa das Gleiche zu machen. Hier essen wir, dort gehen wir aufs Klo, da drüben spielen wir, den Weg gehen wir morgens lang, vor dem Schlafengehen gibt’s noch einen Keks. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig vonnöten ist, Hunde zu erfreuen, wie einfach ihr Leben sein kann, wenn wir ihnen etwas Sicherheit geben. Es sollte uns ein Leichtes sein.

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