Was Hunde gerne fressen

bildvom 22. 1.2012

Wer Hunde hält, bekommt immer wieder einen Einblick in eine völlig andere, gänzlich fremde Welt, an der wir sinnlich und olfaktorisch begrenzten Menschen höchstens ansatzweise teilhaben können. Schon ihre Spaziergänge gehen weit über das hinaus, was wir Menschen an der frischen Luft erfahren: Ein wenig Bewegung an Hauswänden entlang, wobei man sich den Wind durchs Haar streichen lässt, mag ja genug Abwechslung für den Menschen bedeuten. Für den Hund ist jeder Spaziergang ein kreatives Ventil, ein Abenteuer für die Seele, das Beste des Lebens in der Gegenwart verknüpft mit dem Besten des Lebens in der Vergangenheit; es ihn in Kontakt mit seinen Instinkten, seinen Vorfahren. Wir Menschen ahnen die wahren Dimensionen eines Hundespaziergangs nicht einmal: Der Hund hat die unglaubliche Chance, an eine Hausecke zu pinkeln, an die Hunde seit einem halben Jahrhundert pinkeln. Kein Hund muss so viel aufs Klo, wie es innerhalb eines Spazierganges den Eindruck macht: Hunde improvisieren. Sie wollen die Summe ihrer Rivalen übertrumpfen. Jeder Grashalm ist eine Art Gästebuch, das von jedem Hund der gesamten Nachbarschaft unterschrieben wurde. Jeder Fußabdruck hat eine Bedeutung, jedes Loch, das irgendwo hinführt, oder irgendwann mal irgendwohin geführt hat. Kleine Tiere – am liebsten tote Tiere, ölig, gelatine-artig oder jede Art unidentifizierbarer Glibber, der im Dreck altern durfte und einen unwiderstehlichen Geschmack entwickelt hat. Es gibt viel mehr Essbares, als Menschen sich je erträumen können.
Sind z.B. Socken essbar? Dem durchschnittlichen Menschen erschließt sich die Socke nicht als Delikatesse, egal, wie flauschig sie sein mag. Hunde sehen das völlig anders: Wenn man an Socken erst ordentlich gezerrt und sie durchgekaut hat, den Zehenteil, dann die Stelle, in der sich vorher der Fußballen befand, und schließlich die Ferse, sind sie ein unbeschreibliches Geschmacksereignis. Der kultivierte Hund findet jeden Gegenstand im Haushalt essbar bis zu einem gewissen Grad, einschließlich Putzhilfsmitteln wie Scheuerwolle, Küchenschwämme, Papierrollen, Klopapier oder Vlies-Staubtücher. Ebenso Topflappen, Wäscheklammern und alle Arten von Putzlappen. Eine gute Daumenregel ist: Alles, was man auf dem Boden findet, das ins Maul passt, kann als Vorspeise gewertet werden, also auch Dichtungsringe, Filzstücke, die unter die Beine von Möbelstücken geklebt oder geschoben wurden (zusätzlicher Bonus: Erst einmal das Filzstück unter dem Möbelstück herausbekommen!). Dann fällt es auch nicht mehr schwer, die gustiöse Bedeutung von anderen Gegenständen zu begreifen: Holz in allen Formen, ob als Tisch- oder Stuhlbein, Fernbedienungen (die wunderbar nach den Menschen riechen, die der Hund am liebsten hat, und womöglich noch nach Fingern, die vorher in einer Chips- oder Erdnußtüte gesteckt haben), Unterwäsche, Nylonstrumpfhosen oder Kabel, deren Gummi-ähnliche Ummantelung ein wunderbar süßliches Aroma hat. Habe ich den Inhalt von Katzenklos schon erwähnt? Für die meisten Hunde eine Art Snackbar – obwohl die häufig einfach gestrickten Menschen dies nicht zugeben möchten – , aber viel mehr als Fast-Food: Voller wertvoller Proteine und unverdauter Omega3-Fettsäuren.
Schuhe sind ein weiterer kulinarischer Höhepunkt. Es spielt dabei keine Rolle, ob Pumps, Sandalen, Stiefeletten oder Schnürschuhe, obwohl jeder für sich einen gewissen zusätzlichen Unterhaltungsbonus besitzt wie Schnürsenkel, Innenfutter, zahnfreundliche Absätze, etc.: Außerdem riechen sie nach Lieblingsmensch. Wenn Sie also nach Hause kommen und Ihre Louboutins in kleinen, zernagten Schnipseln im Hundekorb wiederfinden, denken Sie daran: Wer immer das getan hat, hat Sie einfach schrecklich vermisst.

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