Ich kann nicht werfen. Das war schon in der Schule so: Beim Sport sah es immer aus, als würde ich Handball mit Völkerball verwechseln, weil ich Angst davor hatte, vom Ball getroffen zu werden. Wenn ich werfen musste, glitt mir der Ball jedes Mal auf rätselhafte Weise aus den Händen und landete einen halben Meter vor mir auf dem Boden. Weil ich Hunde liebe, kam ich aus diesem Grund später nie auf die Idee, mir einen Labrador oder Golden Retriever zuzulegen.
Wenn ich es mir genau überlege, hatte ich fast immer Hunde, die mit Bällen nicht sehr viel anfangen konnten. Außer meinem damaligen braunen Pudel Ida, aber da zog ich mich aus der Affäre, indem ich ihr einen Kong schenkte. Bei Kongs spielt es keine Rolle, ob man sie werfen kann, sie hüpfen immer irgendwie so, dass es für den Hund lustig ist. Für meinen verstorbenen Mops Theo dagegen war es immer unter seiner Würde, irgendetwas zu apportieren, und mein schwarzer Pudel Luise sieht das genau so. Inzwischen lebe ich neben Luise mit einer Auswahl kleiner Windhunde zusammen. Der Windhund hat typischerweise zwar ein ausgeprägtes Bedürfnis, beweglichen Objekten hinterher zu jagen und sie zu packen, die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass diese Objekte essbar sind – wie Hasen, Karnickel, Marder, Eichhörnchen, Mäuse oder Fahrradfahrer. Zum Thema Ballspielen teilen die meisten Windhunde die Einstellung: Wenn du diesen Ball unbedingt haben möchtest, dann hättest du ihn nicht wegwerfen sollen.
Dachte ich jedenfalls. Dann kam Fritz, der nach jenem großen König benannt wurde, der wie mein Fritz ziemlich klein und zart war und sich am liebsten mit Fritzens eleganten Vorfahren umgab. Ich hätte Fritz lieber Mickey oder Babe nennen sollen oder wie Border Collies gewöhnlich heißen, denn er ist ein Ball-Fanatiker. Allerdings ist er dabei völlig einseitig gesteuert: er spielt ausschließlich mit einem kleinen, etwa Golfball- großen Ball in Form einer pinken Himbeere. Dafür aber stundenlang: Er wirft das Ding hoch und fängt es wieder auf, wirft es Treppenstufen hinunter und läuft hinterher, pfeffert es gegen Wände und fängt es in der Luft. Wenn er mich dazu zwingen möchte mitzuspielen, wirft er es in die Gießkanne und tritt ständig dagegen, oder hinter die Buchreihen im Bücherregal und versucht, den Ball wieder herauszuholen, oder in meinen Papierkorb, und vereilt auf der Suche danach dann das Papier im ganzen Zimmer, oder in offene Pakete (eine ganze Anzahl von Paketempfängern haben in den letzten Jahren kleine pinke Himbeeren in ihren Sendungen von mir bekommen, deren Bedeutung sie sich nie erklären konnten. Ich habe nur nie rechtzeitig gemerkt, dass Fritz sie dort hineingeworfen hatte).
Fritz ist besessen von seiner Himbeere. Mein Windspiel Harry bringt mir manchmal ein Spielzeug zurück, zwei, drei Male, bis er zu der enttäuschenden Erkenntnis gelangt, dass dieses Spielzeug wohl doch nicht auf wundersame Weise plötzlich lebendig werden und sich in eine kleine Zwischenmahlzeit verwandeln würde. Mein Silken Windsprite Gretel apportiert je nach Stimmung manchmal ein Futter-Dummy, was sie (zu Recht) als gültige Währung zum Tausch gegen Kekse und Würstchen betrachtet: Sie kann den Reißverschluss nicht allein öffnen. Fritz’ unstillbares Bedürfnis, mich seine Himbeere werfen zu lassen, betrachtet sie mit naserümpfender Herablassung. Sie findet, dass er sich gegenüber seiner stolzen, raubtierhaften Rasse als hirnloser Verräter gebärdet.
Fritz ist das egal. Windhunde scheren sich einen feuchten Kehrricht um die Meinung anderer. Dazu gehört auch die allgemeine Überzeugung, dass ich nicht werfen kann.
Also spielen Fritz und ich Ball. Ich werfe die Himbeere und befolge dabei strikt die Anweisungen meiner athletisch begabteren Freunde: Ich konzentriere mich auf einen bestimmten Punkt in der Entfernung, an dem ich den Ball gerne landen sehen würde. Gleichzeitig fällt mir der Ball ohne mein Zutun irgendwie aus der Hand und landet sonst wo. Manchmal kullert er auch direkt vor mir ins Gras, bevor ich überhaupt die Chance hatte, ihn in die Luft zu werfen. Je nach Laune fliegt er weite Strecken durch die Luft und fällt in irgendwelche sehr dichten Hecken. Oder, was wirklich gemein ist, durch das Abdeckgitter von Kellerschächten.
Wir haben mittlerweile ein Himbeeren-Abonnement.
Unter einem guten Wurf verstehe ich, dass ein Mensch ein wurffähiges Objekt hoch durch die Luft jagt, bis es auf unerklärliche Weise an einem angestrebten Ort landet. Ich persönlich habe das noch nie zustande gebracht.
Fritz ist das egal. Noch nie – nicht einmal, wenn er zwischen Flieder-, Liguster- und Forsythienstämmen nach seiner Himbeere suchen oder zusehen musste, wie sie wie leblos zwischen meine Füße plumpst – hat er mir vorgeworfen, ich könne nicht werfen. Im Gegenteil. Seiner Meinung nach haben die Dallas Mavericks einen echten Fehler begangen, als sie mich nicht anheuerten. Und wenn Sie ihn fragen, würde er Ihnen sagen, dass Dirk Nowitzki im Vergleich zu mir wie ein Mädchen wirft.
Und deshalb schreibe ich über Hunde.
aus: DOGS Sept./Okt. 2013
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