Einmal in der Woche gehe ich mit meinen Hunden in einen Kindergarten für so genannte „unterprivilegierte Kinder“ – eine neutrale Umschreibung für Kinder aus schwierigen Verhältnissen, die meisten von ihnen aus Hartz IV-Familien der fünften Generation, deren Eltern sehr, sehr jung sind, oder keine richtige Schule besucht haben, keine Ziele im Leben haben und in deren Wohnungen es meist mehrere Plasmafernseher gibt, aber keine Buntstifte, keinen Bauklotz, kein Buch, kein Spielzeug. Im Alter von fünf Jahren können viele von ihnen noch nicht richtig sprechen, weil zuhause einfach niemand redet, und ihr Vokabular aus Trickfilmen stammt.
Das Tolle an dieser Arbeit mit den Hunden ist, dass man so viele Ängste „indirekt“ bearbeiten kann. Es gibt ein kleines Mädchen, dass sich vor furchtbar vielen Dingen fürchtet, z.B. nicht alleine aufs Klo gehen oder draußen an einem bestimmten Spielplatz vorbei gehen möchte. Wenn wir da sind, nimmt sie immer Gretel mit aufs Klo, denn Gretel „vertreibt alle Monster“. Neulich sind wir zwei todesmutig mit Harry an dem Spielplatz vorbeigegangen, und ich habe ihr gesagt, sie dürfe Harry nicht merken lassen, dass sie sich fürchtet, sondern solle tief atmen und mir einen Witz erzählen, während wir daran vorbei gehen, denn Hunde merken immer, in welcher Stimmung Menschen sind, und es wäre für Harry ganz schlecht, wenn er sich nicht an dem Spielplatz vorbei traut. Seitdem geht das Kind aufrechten Ganges an dem Spielplatz vorbei, voilà, denn sie hat sich den Harry-Trick zueigen gemacht.
Wundervoll sind auch die Spaziergänge – Gott sei Dank habe ich so viele Hunde, damit man nicht soooo viel abwechseln muss, wer wessen Leine halten darf. Wir lernen dann, dass wir nicht an der Leine ziehen (und wie es sich anfühlt, wenn dauernd einer an einem herumzerrt, indem wir uns alle gegenseitig an den Kapuzen durch die Gegend schleppen), und dass Hunde (und natürlich auch Kinder!) einen sehr gut hören, wenn man nur flüstert. Wir lernen, dass wir Menschen „die Bestimmet“ sind: Wir geben das Tempo vor, und wenn man sagt: Fritz, komm! – dann kommt er auch, hurra. Und wir lernen auch, wie man Hunden Kekse gibt, ohne dass sie versehentlich die Finger mitnehmen, und was man macht, wenn ein anderer Hund kommt und man nicht weiß, pb der lieb ist (man ruft von Weitem: „Ist Ihr Hund lieb zu Kindern?“ – und bekommt dann immer eine Antwort). Und wenn man sich nicht sicher ist, ob der eigene Hund an der Leine mit anderen Hunden lieb ist, geht man einen Bogen, ohne den Hund „abzuschleppen“. Wir lernen, wie man Hunde streichelt – nicht von oben auf dem Kopf, das finden Hunde gar nicht so angenehm, sondern eher am Hals und am Rücken oder unterm Kinn (wenn man den Hund schon ein bisschen besser kennt). Manchmal putzen wir sogar die Zähne der Hunde, und dann putzen alle Kinder zusammen auch noch mal Zähne – aber mit eigenen, neuen Zahnbürsten, die ich mitbringe, nicht mit denen der Hunde, hihi, obwohl die genau so aussehen, aber wer macht denn sowas.
Alle meine Hunde machen wunderbar mit. Keiner ist gestresst, lassen sich alles gefallen (was immer passiert, passiert ja auch sanft und freundlich und unter Meier Aufsicht) und verteilen viel Liebe und Aufmerksamkeit unter den Kindern, jeder anders und auf seine Art: Verteilt Gretel gerne mal „dicke Bussis“, macht Harry gerne die Ohren und Nasen der Kinder sauber (habe ich persönlich nicht ganz so gerne, aber hey- sie fressen ja auch tote Mäuse), Fritz leckt Tränen ab und legt seinen Kopf auf den jeweiligen kleinen Schoß, Pixel macht auf Entertainer und schleppt ständig Spielzeuge herum, während Nano mit einem kleinen Kind an der Leine so vorsichtig läuft, als ginge er auf Eiern.
Die Besuche mit den Hunden machen Spaß, auch wenn wir (Hunde und Mensch) anschließend meistens völlig platt sind, weil an den Hunden so viel herumgefummelt und -gezogen wird, sie so viel Ball spielen und sich an- und ausziehen lassen müssen, gestreichelt werden, bis das Fell raucht und ich unendlich viele Fragen beantworten, eingreifen und Witze machen muss, bis wir dann irgendwann zum „gemütlichen Teil“ kommen, in dem alle Kinder und Hunde auf dem Boden der „Kuschelecke“ liegen und ich vorlese, seit Jahren Astrid Lindgrens „Kinder aus der Krachmacherstrasse“ (noch original von mir als Dreijährige angemalt), weil Kinder Wiederholungen und Routine lieben (ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mal zu „Madita“ wechseln zu dürfen, aber nein…). Dann hören alle zu, die Hunde schlafen ein und schnarchen – eingequetscht zwischen lauter müffeligen Kindern – laut, was für viel Gekicher und andere Heiterkeitsausbrüche sorgt.
An diesen Tagen, während dieser Stunden, ist Berlin in meiner direkten Umgebung ein sehr, sehr friedlicher Ort. Und mein Herz so voller absurder Wärme und Liebe gegenüber diesen kleinen warmen zwei- und vierbeinigen Lebewesen, die sich fast auf Anhieb verstehen, dass man dieses Glücksgefühl kaum aushält, ohne zu platzen.