Hunde aus zweiter Hand

Was es bedeutet, Pflegestelle zu sein

Als ich Nano das erste Mal sah, war er nicht besonders schön. Er war ein entsetzlich magerer junger Galgo mit Löchern im dunkelgrauen Fell, als hätten sich Motten über ihn hergemacht, dehydriert, unterernährt, schuppig und hungrig, er hatte Ohrrandekzeme, geschwollene Gelenke, eine Wunde am Vorderfußgelenk und zahllose kleine Wunden an den Beinen.

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Die zweite Chance: Hunde mit Vergangenheit
Jeder Tierheimhund bringt eine Geschichte mit, die ihn geprägt hat. Dieser umfassende Erziehungs- und Verhaltensratgeber vermittelt das besondere Know-how, das Besitzer von Hunden aus zweiter Hand brauchen, von der Eingewöhnung über Bindungsaufbau bis zu Verhaltensauffälligkeiten. Viele Fallbeispiele aus der Praxis der Autorinnen zeigen, wie man bei Problemen angemessen reagiert. Wertvoll auch für Mitarbeiter in Tierheimen und im Tierschutz.
Nano am Tag nach seiner Ankunft am 9. März 2014
Nano am Tag nach seiner Ankunft am 9. März 2014
Löcher aufgrund von Dehydrierung und Milbenbefall - die man sogar ganz gut auf diesem Foto erkennen kann: Die ganzen weißen "Schuppen"
Löcher aufgrund von Dehydrierung und Milbenbefall – die man sogar ganz gut auf diesem Foto erkennen kann: Die ganzen weißen „Schuppen“

Er bot einen ziemlich jämmerlichen Anblick: Ungepflegt, unsicher, ungeliebt, verlassen – ein trauriges Zeugnis für die Gleichgültigkeit der Menschen für die Bedürfnisse der Tiere, die von ihnen abhängig sind. Aber er hatte einen guten Blick: wach und interessiert. Er sah so aus, als habe er Humor. Er war freundlich, aber zurückhaltend, nicht wirklich vertrauensvoll, aber offen für die Möglichkeiten, die sich ihm boten.

Auf allen Wirbeln Löcher und Abschürfungen - er sah aus wie perforiert
Auf allen Wirbeln Löcher und Abschürfungen – er sah aus wie perforiert

Nano stammt aus Spanien, einem der Länder, in dem jedes Jahr Hunderttausende von Hunden ausgesetzt oder in Auffanglagern sich selbst überlassen werden. Manche streunen herum, werden täglich ängstlicher, während sie auf der Suche nach Futter sind, bis sie eines Tages irgendein Auto von ihrem Elend befreit – oder sie schwer verletzt und mit gebrochenen Gliedern an inneren Verletzungen entweder qualvoll zugrunde gehen oder das Glück haben, gefunden und gerettet zu werden. In Tierheimen geht es ihnen nicht besser: Zu hunderten werden sie dort in zu großen Gruppen aufbewahrt, wobei es aufgrund des Platzmangels oft zu entsetzlichen Beißereien kommt.
Wenn kein Platz mehr ist, oder die zehn Tage abgelaufen ist, die herrenlose Hunde von Gesetzes wegen verwahrt werden müssen, werden sie euthanasiert. Wenn die Hunde hübsch, niedlich oder aus anderen Gründen vermittelbar scheinen, werden sie von Tierschutzorganisationen eingesammelt und in neue Zuhause vermittelt.

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Nano ist ein Galgo, was in Spanien eine echte No-Win-Situation ist. In Spanien sind Galgos Nutzvieh. Sie werden zu Hunderttausenden für die Jagd gezüchtet und jedes Jahr nach der Jagdsaison zu vielen Zehntausenden ausrangiert. Sie werden auf weit entfernten Feldern ausgesetzt, und damit sie ihrem Herrn nicht hinterherlaufen, werden ihnen Beine oder Becken gebrochen. Sie werden erhängt, irgendwo im Busch angebunden, so dass sie verhungern und verdursten, falls sie sich die gefesselte Pfote nicht abnagen – und dann sterben sie doch. Die Tierschutzgesetze in Spanien wurden verschärft, was immerhin dazu geführt hat, dass die Jäger, die Galgueros die ungewollten Hunde nun oft wenigstens nicht mehr aussetzen, sondern in die Perreiras bringen. Das minimiert nicht die Zahl der Hunde, die gezüchtet und abgegeben werden, aber immerhin die Zahl der Hunde, die elendig zugrunde gehen. Es ist kaum zu glauben, dass in einer Kultur, die so unglaublich stolze, edle Tiere wie die spanischen Pferde, die glänzenden schwarzen Stiere und die noblen Galgos erschaffen hat und sie auf Festen, in Liedern und Gedichten feiert, die gleichen Tiere so unglaublich malträtiert werden.

Nano in Spanien
Nano in Spanien

Warum Nano abgegeben wurde, weiß man nicht. Er war jung, als er in der Perreira abgegeben wurde, etwa eineinhalb Jahre alt. Seine Farbe ist sehr ungewöhnlich, was eigentlich sein Glück hätte sein können, aber er ist eher höflich und ließ vielleicht beim Ausprobieren seiner Jagdtauglichkeit einem forscheren, mutigeren, älteren Hund den Vortritt. Was immer der Grund: Er musste weg.

Die Tierschutzorganisation Tierschutz Spanien e.V. holte ihn aus der Perreira und suchte eine Pflegestelle für ihn, auf der weitere, freundliche und sichere Hunde vorhanden waren, denn Nano schrie vor Angst, wenn man ihn alleine aus dem Zwinger holte.

Pflegestellen sind wichtig, nicht nur für ausländische Hunde, sondern zunehmend auch für hiesige Tierheime: Nicht nur, weil es ein paar der täglichen Kosten spart – grundsätzlich wird gehofft, die Pflegestelle übernimmt die meisten Kosten als Spende – und den Platz frei macht für einen weiteren Hund, den man unterbringen kann. Vor allem aber benimmt sich ein Hund völlig anders in der Sicherheit eines warmen Zuhauses als in einem Zwinger eines Tierheimes. In einer Pflegestelle kann man den Hund ganz anders einschätzen, kann abschätzen, ob er Kinder mag, Fahrräder oder Katzen jagt, ob er Zipperlein hat, die berücksichtigt werden müssen.

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In den ersten zehn Tagen schlief Nano sehr, sehr viel, um die unzähligen neuen Eindrücke verarbeiten zu können. Und er bekommt die Grundregeln des gesellschaftlichen, zivilisatorischen Umganges gezeigt, bevor er in ein endgültiges Zuhause umziehen kann. Pflegestellen sind wichtig und notwendig – auch wenn es viel verlangt sein kann, einen Hund wieder abzugeben, dem man monatelang (manchmal sogar ein, zwei Jahre lang, bevor sich das passende Zuhause findet) mit Geduld und Mühen gezeigt hat, wie das zivilisierte Leben spielt. Dem man Dinge ab- und manche angewöhnt hat, in den man Zeit, Liebe, Pflege und Geld investiert hat – und das alles letztlich nicht zum eigenen Vorteil, sondern um ihn stark, selbstsicher und fit für ein neues, normales Leben in einem anderen Zuhause zu machen. Es ist ein echtes Projekt, dem man sich stellt, das viel verlangt – und viel zurückgibt. Man muss noch viel gerechter sein, als mit dem eigenen Hund, ihn aber genau so lieben. Man muss sich zwingen, ihn neutral zu beurteilen, man muss sich ehrlich seinen fürs moderne Leben schwierigen Eigenschaften oder Angewohnheiten stellen. Und man muss wirklich üben, was Wolfdietrich Schnurre irgendwann in den 60ern schrieb: „Lieben heißt loslassen können“. Denn natürlich darf man als Pflegestelle auch „versagen“ und den Hund behalten – niemand würde es einem übel nehmen. Aber das bedeutet, dass man keinen anderen, bedürftigen Hund, der vielleicht nicht gleich in ein endgültiges Zuhause umziehen kann, aufnehmen kann – denn irgendwann sind die eigenen Kapazitäten einfach erschöpft.

Nano zog hier als Nummer fünf ein. Es gab drei „alte Hasen“, was Umerziehung und Neu-Sozialisierung junger oder seltsamer, verwirrter oder ängstlicher Hunde betrifft, und einen Junghund, der die ganze Welt für seinen persönlichen Kindergeburtstag hält und einfach alles großartigefindet: Eine gute Voraussetzung für einen unsicheren, nicht sehr vertrauensvollen jungen Hund.

Die anderen Hunden waren eher „geht so“-begeistert über den großen, grobmotorischen, verwirrten Hund. Nur Windsprite-Rüde Pixel und Nano wurden sofort unzertrennlich. Pixel half Nano über viele anfängliche Schwierigkeiten hinweg, denn wo Pixel hinmarschierte, wollte Nano auch hin, wo Pixel schlief, schlief auch Nano.

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In seiner ersten Nacht bei uns machte Nano „Betten-Hopping“: Er konnte kaum fassen, wie weich das Angebot war und sprang selig von einem Hundebett ins nächste.

Ich dagegen konnte kaum fassen, wie viel Flüssigkeit in einen Hund hinein passte: Denn natürlich war er nicht stubenrein. Die Seen, die ein erwachsener, großer Hund auf einem Teppich hinterlässt, sind nicht zu vergleichen mit den niedlichen kleinen Pfützchen, die ein junger Hund sich leistet. Aber die Erziehung zur Stubenreinheit ist die Gleiche: Alle zwei Stunden ab nach draußen. Dazu kam, dass Nano unter Giardien litt – fiesen, kleinen Darmparasiten, die nicht nur verhindern, dass die so dringend benötigten Nährstoffe tatsächlich im System des Hundes ankommen, sondern auch noch für entsetzlichsten Durchfall sorgen.

So dringend Nano etwas auf die Rippen brauchte, so vorsichtig musste man mit seiner Ernährung sein. „Viel“ hilft nicht immer viel, denn die meisten „Hunde aus zweiter Hand“ sind nicht gut ernährt worden, manche stammen aus armen Verhältnissen, manche haben jahrelang von Müll auf der Straße gelebt und damit ihr Verdauungssystem unglaublich belastet, andere – wie viele Galgos – sind vor allem mit hartem Weißbrot ernährt worden. Einem plötzlichen Wechsel zu hochwertiger, vor allem proteinreicher Nahrung und zahllosen Zusätzen ist ihr armes Verdauungssystem schlicht nicht gewachsen. Zu Anfang ist eine Diät aus Huhn mit Reis eine sichere, schonende Sache, dazu Bierhefe und Darmbakterien wie „Symbiopet“, um die Darmflora schonend aufzubauen. Sobald die Ausscheidungen eine zufriedenstellende Konsistenz haben (man ahnt gar nicht, wie sehr einen der Anblick wohlgeformter Haufen begeistern kann – der ganze Tag ist gerettet!), kann man anfangen, esslöffelweise das jeweilige Futter hinzuzufügen, dass man letztlich geben möchte, bis man gänzlich umgestellt hat. Bei der Hefe, den Darm-Aufbau-Bakterien und zusätzlich hochwertigen Ölen sollte man ruhig wenigstens vier, fünf Monate bleiben.

Sina aus einer holländischen Welpenfabrik
Sina kam aus einer holländischen Welpenfabrik, bis sie bei Angsthund-Trainerin Petra Techert einzog: www.pfotenlesen.de

„Hunde aus zweiter Hand“ sind anders als andere Hunde. Sie bringen eine Geschichte mit sich, die sie geformt hat. Manche machen es einem unglaublich, überraschend einfach und fügen sich in ihrem unbändigen Überlebenswillen einfach in ein neues, in Ihr Leben ein. Sie können aber auch eine echte Aufgabe bedeuten. Der Straßenhund, der ausgesetzte Hund, der Hund, mit dem die Vorbesitzer nicht fertig wurden sind besondere Tiere, die von uns Zeit und Raum brauchen, Ruhe, Gelassenheit, Verständnis und Regeln. Nichts ist für sie mehr, wie es war: Sie brauchen nichts dringender als Rituale. Sie müssen Gewohnheiten aufbauen, wochenlang für genau den gleichen Ablauf sorgen, auf den der Hund sich verlassen kann. Auch wenn es Ihnen längst zum Hals heraushängt: Rituale geben Sicherheit. Die gleichen kleinen Spaziergänge, die gleichen Geräusche, das gleiche Futter, nur wenig Neues und wenn, dann in kleinen Dosen, wenig neue Menschen, kaum fremde Hundekontakte. Er braucht jetzt keine Abwechslung, jeder Moment seines Lebens ist gerade abenteuerlich genug. Lassen Sie ihn schlafen: Sie werden sehen, er braucht es dringend. So ein neues Leben muss erst einmal verarbeitet werden.

Ein Hund, der im Tierheim abgegeben wurde, hat vielleicht sein Zuhause verloren, weil sein Besitzer gestorben ist, ins Krankenhaus oder ins Gefängnis musste, weil ein Kind schwer allergisch reagierte oder aufgrund anderer Lebensveränderungen keine Zeit mehr für ihn da war. Er ist getrennt von denen, die er kannte, denen er vertraute. Er wartet darauf, dass alles wieder so wird, wie es war, sucht die Gerüche, die er kannte und die dafür sorgen, dass er sich wieder rundherum gut fühlt. Wenn es ein Straßenhund ist, ein ehemaliger Kettenhund, ein Galgo, ein ausgedienter Jagdhund, sind die Chancen groß, dass er noch nie eine Klospülung gehört oder einen Haarföhn oder Staubsauger in Aktion erlebt hat. Er ist immer hungrig und gierig, stiehlt und schlingt sein Futter. Die Geräusche im Haus machen ihn nervös, er ist unruhig, fiept und läuft auf und ab. Beim kleinsten Geräusch zuckt er zusammen. Vielleicht musste er um sein Überleben kämpfen, Futter und Schutz suchen und Steinen und Flüchen ausweichen. Und jetzt ist er plötzlich in einem Zuhause und bekommt einen Crash-Kurs in Hunde-Sozialisierung und menschlicher Interaktion. Das muss den stärksten Hund erschüttern.

George war Leishmaniose-positiv, als er nach Deutschland kam. Das ist er immer noch, aber mit der geeigneten Medikation hat er sich großartig erholt.
George war Leishmaniose-positiv, als er nach Deutschland kam. Das ist er immer noch, aber mit der geeigneten Medikation hat er sich großartig erholt.

Erwarten Sie nicht zu viel von Ihrem neuen Hausgenossen – schon gar keine Dankbarkeit. Das ist sowieso ein menschliches Konzept, das Hunde nicht verstehen. Er mag froh sein, endlich geregelte Mahlzeiten zu bekommen, ein Bett zu haben, jemanden, der ihm alle Verantwortung abnimmt und ihm auch noch das Ohr krault. Aber auch hier: Lassen Sie ihm Zeit. Viele Hunde sind Liebe und Körperkontakt gar nicht gewohnt. Nano hat Wochen gebraucht, bis er ein „Kuschelhund“ wurde: Er kannte es ja nicht. Er beobachtete die anderen Hunde, die das Ganze offenbar schön fanden, und irgendwann machte auch er dabei die Augen zu und entspannte sich wirklich. Auch Hingabe muss gelernt werden. Und obwohl er es eindeutig lustig fand bei uns, wedelte er das erste Mal bei nach vier Monaten bei meinem Anblick.

Auch Nano hatte einen Kulturschock. Er hatte keine Ahnung, was von ihm erwartet wurde, wir hatten keine Sprache, keine Gesten gemeinsam. Unsere Kommunikation bestand aus Herumprobieren. Er war ein junger Hund, der sich bereits eine Meinung über Menschen gebildet hatte. Er war nicht traumatisiert, aber er hatte nicht gelernt, was wir unseren Hunden von Welpenbeinen an beibringen: Uns zu folgen, bei Krisen oder Streß bei uns Schutz zu suchen, uns zu vertrauen. Man muss sich darauf einstellen, dass man dauernd mit einem verwirrten Hund zu tun hat, einem zögerlichen Hund, der einem Widerstand entgegenbringt, während man ihn erzieht. Bei vielen dieser Hunde hilft es, ihnen anhand unwiderstehlicher Belohnungen zu zeigen, dass es sich wirklich lohnt, mit dem Menschen zusammen zu arbeiten. Und man muss echte Beziehungsarbeit leisten, denn genau das haben sie bisher ja meistens nicht gelernt: Eine Beziehung zu ihrem Menschen aufzubauen. Sonst wären sie nicht im Tierheim abgegeben oder ausgesetzt worden. Spielen – das wichtigste Werkzeug zum Aufbau einer Beziehung – kennen viele dieser Hunde nicht. Also packt man Schuhkartons, in die man Würstchen in Papier einwickelt, kleine Quietschdinger, andere Kekse – und lässt den Hund auspacken und hilft ihm dabei. Sie kullern ganz ruhig einen Ball zwischen seine Vorderpfoten, während Sie beide auf dem Teppich liegen, und vielleicht schiebt er ihn zurück. Kleine Dinge, die nur Sie und diesen Hund betreffen, sonst niemanden.

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Manchmal scheint die Freiheit besser auf der anderen Seite des Zaunes

Lassen Sie den Hund nicht von der Leine, bevor Sie sicher sind, dass er Ihnen traut, dass er zu Ihnen kommt, wenn er sich erschreckt; dass er wirklich bei Ihnen Schutz sucht, wenn es darauf ankommt. Nein, das wird nicht in den ersten drei Wochen so sein, üben Sie es erst einmal in geschlossenem Gelände. Machen Sie sich keine Sorgen: Er braucht jetzt keine „Freiheit“ oder ausreichend „Auslauf“, sondern Sicherheit.

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Für manche Hunde ist kein Zaun zu hoch

Es kann sein, dass dieser Hund zusammenzuckt, wenn man ihn streicheln möchte oder die Hand hebt, um sich die Haare zurückzustreichen. Aber machen Sie sich nicht zum Opfer seiner Vergangenheit, seiner Misshandlungen oder traurigen Dinge, die er vielleicht erlebt hat: Genaues wissen Sie nicht, und es hilft weder ihm noch Ihnen, sich derlei auszumalen. Er ist kein armer Hund mehr. Er hat den Jackpot: Er hat ein neues Leben geschenkt bekommen bei jemandem, der es nur gut mit ihm meint. Ihr Vertrauen in ihn, Ihr Selbstbewusstsein und Ihre Führung sind sein Schlüssel in eine gute Zukunft, gepaart mit gut geplanter, positiver Erziehung. Dann wird aus ihm der Hund, den Sie sich wünschen.

Solange er verwirrt und desorientiert ist, wird er sich vielleicht hervorragend benehmen. Dinge, die ihn stören, wird er vielleicht nur beäugen, ohne zu reagieren, er wird Manches still tolerieren – bis die Honeymoon-Phase vorbei ist und er an Sicherheit gewonnen hat. Plötzlich trinkt er aus dem Klo, bellt, wenn es an der Tür klingelt und knurrt, wenn einem Männer mit Hut entgegen kommen. In seinem früheren Leben hat sich um diese Verhaltensweise vielleicht niemand gekümmert. Nano hatte von Anfang an Stress, wenn uns fremde Hunde entgegen kamen. Andere Länder, andere Sitten: Galgos wurden nicht dafür gezüchtet, mit fremden Hunden im Park zu plaudern; er kennt derlei nicht und würde solchen Kontakten lieber aus dem Weg gehen. Weil aber sein Kumpel Pixel der Meinung ist, die Welt sei eine immerwährende Cocktailparty und entsprechend alle Hunde begrüßt, hatte Nano das Gefühl, er müsse mit – und brüllte die Hunde dann gleich an, sie sollten verschwinden, und zwar gleich. Also musste er lernen, dass er keineswegs immer mit Pixel mitmarschieren muss, sondern einfach bei mir bleiben und Grashalme zählen kann.

Nano ist ein wunderschöner, starker, sehr fröhlicher und sehr alberner Hund geworden. Letzteres liegt an mir; alles andere an meinen Hunden und unserem sehr geregelten Leben. Er kann alles, gehorcht fast immer sehr gut, fürchtet sich noch immer vor Schäferhunden, aber das wird immer besser. Er liebt noch immer weiche Betten (am allerliebsten mein Kopfkissen – erstaunlich, wie schnell diese Hunde, die ihr Leben auf Betonböden verbracht haben, sich an Luxus gewöhnen), Spielsachen und Turnschuhe und rennt für sein Leben gerne mit den anderen Hunden auf weiten Feldern. Er geht mit der Souveränität eines Restaurant-Kritikers in entsprechende Etablissements, besucht Buchgeschäfte und Boutiquen mit angeborener Eleganz und betritt fremde Wohnungen und Hotels, als wäre er für den Jet-Set geboren. Er ist genau wie meine anderen Hunde sehr komisch, sehr liebevoll, sanft und verschmust. Er liebt kleine Kinder – auch wenn er den Sinn von Babys bisher nicht verstehen kann: Sie können nicht streicheln, nicht spielen, nicht spazieren gehen, sie verteilen nicht einmal Kekse oder Krümel: Wozu das Ganze also?

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Die Verantwortung für einen Hund mit Geschichte zu übernehmen ist Arbeit. Aber es lohnt sich: Nicht nur, weil man schon sehr schnell eine große Belohnung bekommt in Form der wundersamen Transformation vom verwahrlosten Entchen zum strahlenden Schwan. Die meisten schwierigen, problematischen Verhaltensweisen sind nur ein Ausdruck der Unfähigkeit des Hundes, sich an Ihre Persönlichkeit und Ihren Lebensstil anzupassen – wenn man das erst verstanden hat, wird die Arbeit mit dem Hund ganz leicht. Die Fortschritte können sehr, sehr langsam sein, man kommt an frustrierende Grenzen. Aber wenn man das Ganze nicht persönlich nimmt – denn der Hund macht ja nichts, um einen zu ärgern, sondern weil er nicht weiß, wie er sonst mit allen diesen Situationen umgehen kann; niemand hat ihm bisher gezeigt, wie es stattdessen gehen könnte -, dann ist es ein unglaublich spannendes Erlebnis.

Fino wurde von TSV Galgo Friends e.V. gerettet und vermittelt
Fino wurde von TSV Galgo Friends e.V. gerettet und vermittelt

Ich habe von allen meinen Hunden gelernt, aber am meisten habe ich von den Hunden mit Geschichte gelernt, die bei uns eine zeitlang gewohnt haben. Suchen Sie sich genau den Hund, der zu Ihnen passt, dessen Bedürfnisse und Aktivitätslevel Sie wirklich befriedigen können: Nur dann wird aus Ihnen ein Team. Denken Sie daran, dass die Phase der Eingewöhnung zwischen zwölf Wochen und vier Monaten liegt. Bleiben Sie offen für alles, was auf Sie zukommt – und dann treten Sie einen Schritt zurück und bewundern Sie die unglaubliche Veränderung, die dieser Hund aus zweiter Hand in Ihren Händen durchmacht – und Sie mit ihm. Sie werden Ihren Augen nicht trauen.

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Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift

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6/2014

4 Kommentare

  1. Wow so ein schöner Bericht … Dankeschön… wir selbst haben einen jungen Rüden aus Polen in unserer Familie aufgenommen und dank der Pflegestellen in Polen und Deutschland haben wir mit den Basics weniger Probleme. Unser Sparky liebt das Leben und ist super neugierig aber auch oft verunsichert… aber jede Minute Training lohnt sich und auch wenn es Rückschläge gibt und die gibt es leider immer wieder, heißt es weiter an sich arbeiten um es dem Hund zu ermöglichen Fortschritte zu machen. … Danke für die Liebe und den Einsatz!!!!

  2. Was ein unendlich schöner u trauriger Bericht.Es ist unfassbar was manche Menschen Tiere antun.ich werde diesen Artikel teilen .Für Menschen die Tieren leid oder Schmerz zufügen wünsche ich mir echt die Todesstrafe!!!

  3. Ich kann mich noch gut an Nano erinnern. Bin damals schon ihrem Blog gefolgt. Nano hatte ein wunderbares Leben bei ihnen. Danke, dass sie ihm das ermöglicht haben. Alles Liebe und Gute für sie und ihren , ja ich sag jetzt mal Zoo.
    Liebe Grüße aus Baden-Württemberg

  4. Stephanie

    Das ist wirklich ein toller Beitrag.
    Wir haben vor 1.5 Jahren einen Podenco/Galgo Mix aus Spanien adoptiert und er ist ein Geschenk. Ich habe, wie in deinem Beitrag beschrieben, fast identische Erfahrungen gemacht. Heute ist unser Schatz ein wunderbarer, sanftmütiger, geduldiger und stolzer Hund. Sein schwarzes Fell glänzt wunderschön und der sanfe Blick dazu lässt Herzen schmelzen. Klar es ist Arbeit am Anfang und viel Geduld und Ruhe gehören dazu. Es hat mich unendlich traurig gemacht, dass Menschen diese Hunde wie Abfall behandeln und ihnen so viel Leid zufügen. Heute erinnern nur noch seine Narben auf dem Körper an die Misshandlungen und es ist ein Wunder dass er den Menschen trotzdem so viel Liebe und Vertrauen schenken kann. Spielen konnte Abu am Anfang gar nicht und selbst heute trägt er sein Plüschtier ganz zart und vorsichtig durchs Haus und der Sinn im Bälle werfen hat sich ihm auch noch nicht erschlossen.
    Ganz vorsichtig tastet er sich an all das heran. Eine Herausforderung war natürlich auch sein Jagdtrieb, da haben wir sehr schnell gelernt wachsam spazieren zu gehen. Abu ist ein toller Hund, die Entscheidung, ihn zu uns zu nehmen haben wir noch keine Sekunde bereut.

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