Manchmal passieren Dinge, die man so nötig braucht, wie ein Loch im Kopf, und sie passieren trotz bestmöglicher Vorsicht und Sorgfalt. Man macht sich trotzdem wahnsinnige Vorwürfe, ob man das ganze hätte verhindern können, aber: wie?
Gestern brach sich Amali das Bein. Sie sprang beim Spielen über einen Bewässerungsgraben, den sie wohl erst im letzten Moment gesehen hatte, kam unglücklich auf, und schrie. Das Bein war unterhalb des Fußgelenks falsch herum und blutete, irgendetwas stach heraus: Ein scheußlicher, offener Bruch, der ihr entsetzlich weh tat. Ich trug sie zum Wegrand und setzte mich dort mit ihr hin – ich war am weitest möglichen Punkt entfernt vom Auto, und es ist völlig unmöglich, einen 21 Kilo schweren Hund, dem vor Schmerzen schreit und einem auf dem Arm hängt wie ein nasser Sack, weiter als zehn Meter zu tragen.
Ich rief meine Freundin Inga Böhm an (ich bin nämlich gerade in Bayern), die ihre Kinder ins Auto warf und losfuhr. Gretel und Nano waren verschwunden – Gretel hatte sich vor Amalis Geschrei offenbar so erschreckt, dass sie zurück zum Auto gerannt war, wo Inga sie einsammelte, als sie vorbeifuhr. Nano kam exakt in dem Moment zurück, als Inga mit ihrem Auto ankam (er hat wirklich keine guten Nerven: Die Aufregung war ihm wohl zuviel, und er brauchte „Abstand“). Der einzige, der wirklich die ganze Zeit besorgt an unserer Seite blieb war Pixel, mein kleiner Superheld.
Inga hatte schon in der Klinik in Rosenheim angerufen und fuhr direkt dorthin – vorher hatten wir die Pfote ein bisschen fixiert mit einem Lineal und einem Verband, damit nicht jede kleinste Bewegung zu schrecklichen Schmerzen führte. Amali war unglaublich tapfer, versuchte kein einziges mal zu schnappen und saß im Auto auf meinem Schoß, den Kopf in meinem Arm vergraben. Man merkt in solchen Augenblicken erst, wie löcherig die Landstraßen sind und fragt sich im Moment, was eigentlich mit dem Freistaat Bayern los ist, der seine Landstraßen in so einem Zustand belässt (in Wirklichkeit ist an den Straßen natürlich gar nichts auszusetzen, wenn man ehrlich und gesund ist).
Was für ein großes Glück, dass ich das alles nicht alleine machen musste – ich hätte nie gewusst, wo eine vernünftige Klinik ist, und außerdem tröstet es natürlich immens, wenn man nicht selber autofahren muss. Ich bin in solchen Situationen Gott sei Dank sehr ruhig und besonnen, nie hysterisch oder aufgeregt, aber wie hätte ich den Hund so halten sollen, dass er möglichst wenig Schmerzen hat, und dabei autofahren in einer Gegend, die ich nicht gut kenne?), auf dem kalten Tisch lag schon eine Decke, Amali wurde sofort an einen Schmerztropf plus Sedierung gehängt, und Inga lief los und besorgte Schokolade.
Der Bruch ist schlimm. Das Bein ist kurz oberhalb des Gelenks gebrochen, die Arterie gerissen und durch den offenen Bruch sehr viel Luft ins Gewebe gedrungen, und damit Bakterien. „Schlimmer hätte der Bruch nicht kommen können“, wie der Tierarzt später meinte.
Aber trotzdem unglaubliches Glück im Unglück: Dieser Tierarzt (den Namen habe ich im Moment vergessen, tut mir leid, ich liefere ihn später nach; diese Klinik sollte man sich merken) hat lange mit einem amerikanischen Tierarzt zusammen gearbeitet, der in Spanien eine Klinik für Galgos gegründet hat – und kennt sich mit diesen Hunden aus. „Andere Tierärzte denken oft, die Galgos seien Hunde“, sagte er. „Sind sie ja auch – aber aus einer ganz anderen Sphäre.“ Die Haut von Galgos ist extrem dünn, außerdem haben sie keinerlei Unterhautfett, weshalb Knochen sofort durch die Haut durchstoßen.
Bei offenen Brüchen kann man keine Platte auf dem Knochen anbringen, weil sich schreckliche Entzündungen auf dem Knochen bilden, was so weit gehen kann, dass das Bein amputiert werden muss. Was bei Galgos wiederum sehr ungünstig ist, denn als Sprinter tragen sie etwa 60% ihres Gewichts auf den Vorderläufen – aber wir wollen ja nun nicht vom Schlimmsten ausgehen.
Sie wurde gestern abend noch drei Stunden lang operiert und musste über Nacht in der Klinik bleiben. In den nächsten Wochen muss die Wunde täglich gespült werden, damit „der Schmodder“, wie der Tierarzt es nannte, herauslaufen kann und dem Knochen nichts passiert. Die Tierärzte meinten eben, Amali habe sehr starke Schmerzen und es sei ihnen lieber, wenn sie bis morgen in der Klinik bleiben könnte, damit sie über den Venentropf Schmerzmittel bekommen könnte. Aber sie ist zugedeckt und bekommt, weil sie eigentlich nichts fressen möchte, von der Arzthelferin Croissant, damit sie überhaupt irgendwas im Magen hat. Mangelerscheinungen wird sie bis morgen schon nicht bekommen, da bin ich ganz zuversichtlich.
Mein armer, armer Hund. Ich weiß nicht, wie ich diesen Bruch hätte verhindern sollen – außer, indem ich meine Hunde ewig an die Leine lege. Aber das wäre ja das Gegenteil von artgerechter Haltung.
So ein schrecklicher Mist. Verzeihen Sie, wenn ich hier vor mich hin jammere – ich habe wahrscheinlich auch ein bisschen einen Schock.
Irgendwann passiert so etwas eben, es gehört zum normalen Leben dazu. Und in 35 Jahren Hundehaltung ist dies der erste, der sich ein Bein bricht. Irgendwann musste das ja mal kommen, um meine Bildung zu vervollständigen.
Verdammt. Ich hätte nichts dagegen, ein bisschen dümmer sterben zu müssen. Mein Leben ist kein langer, ruhiger Fluß, sondern ein permanenter Sturm im Wasserglas.