Wer noch den geringsten Zweifel hat, ob und wie wichtig das Umfeld in der Charakterbildung von Hunden ist, den lade ich gerne ein: Meine eleganten Hunde sind gerade im Begriff, sich in Bauernköter zu verwandeln.
Einen gewissen Hang zur Erdverbundenheit hatten sie ja schon immer. Inzwischen zucke ich nicht einmal mehr zusammen, wenn ich sie in einiger Entfernung dabei beobachte, wenn sie sich in irgendetwas wälzen. Unsere schönen Halsbänder liegen in der Schublade: Es lohnt sich schlicht nicht. Ich kann sie nicht dauernd säubern; so viel Lebenszeit habe ich nicht mehr übrig.
Amali, die weiße, elegante Elfe, kommt von jedem kleinen Ausflug zum Nachbarhof mit schwarzen Beinen zurück, was aussieht, als trüge sie elegante Abendhandschuhe – nur stinken diese Handschuhe entsetzlich, denn sie sind das Ergebnis eines kleinen Bades in der Jauchegrube. Barthl und Pixel verschwinden jeden Abend durch den Zaun in den Teil des Gartens, der noch nicht eingezäunt ist, und kümmern sich um die Wühlmaus-Situation. Neuerdings haben wir auch Flöhe – die kommen entweder aus dem Stroh, in dem die Kälber auf dem Nachbarhof liegen, wo die Hunde sich nachmittags im Alleingang etwas frische Milch geben lassen, oder, was mir wahrscheinlicher vorkommt, von dem riesigen Igel, der unter meiner Buchsbaum-Hecke wohnt. Der Igel ist fast größer als Barthl, außerdem kann er knistern, was Barthl zu Tode erschreckte, als er ihn eines Nachts traf. Ich konnte ihn nur mit Mühe und Not davon überzeugen, dass der Igel gut, nützlich und dementsprechend von mir gern gesehen sei: Er frisst nämlich die mir sehr grauslichen Nacktschnecken. Dagegen widme ich Weinbergschnecken viel Aufmerksamkeit und trage sie sogar nach Hause in meinen Garten, wenn ich sie irgendwo finde: Sie fressen nämlich die Brut der Nacktschnecken. Dementsprechend habe ich an meinen Pflanzen keinerlei Schneckenfraß-Löcher – nur Brandlöcher dort, wo die Hunde ihre Beine gehoben haben. Ich überlege, ob ich mir irgendwoher einen Feuer-Hydranten besorgen und zur einzigen Pieselzone erklären kann.
Heute regnet es in Strömen. Die Bauern müssen das gewusst haben; bis Mitternacht haben sie gestern in der unglaublichen Hitze noch Gülle auf die Felder ausgefahren und Getreide gedroschen, dass der Boden bebte. Als wir gegen halb acht noch einen Spaziergang machten, waberte die Glut über den Feldern, über den Traktoren hingen schwere Staubwolken. Mit Staub in der Nase und Maschinenlärm in den Ohren sahen wir drei Jungfüchse, die aus den bisher so sicheren Feldern flüchteten und einen Rehbock, der den dröhnenden Eisenkoloss bis auf eine Mahdbreite an sich herankommen ließ. Das Wild hat hier ein Gottvertrauen, das für Windhundbesitzer eher anstrengend ist.
Hoch am Himmel schossen schrillende Mauersegler durch die Luft – Amalis Lieblingsvögel, denn sie lassen sich in der Luft jagen, liessen sich fast auf den Hund fallen, zogen dann behende wieder hoch, ein nächster kam dazu, ein dritter, und Amali rannte und rannte über die Wiese, bis sie einfach nicht mehr konnte und sich neben einem Holzstoß ins vom Achatten gekühlte Gras warf und hechelnd liegen blieb.
Die sirrenden, in der Luft stehenden Mückenschwärme waren ihr egal, denen wiederum mein Sommerduft, „Anti-Brumm forte“ völlig egal war.
Der Wald brütete und schwieg. Wahrscheinlich ahnte er, wie es um ihn bestellt ist: Weil die Borkenkäfer sich gefräßig über alle Kiefern her gemacht haben, müssen fast alle Kiefern gefällt werden, damit die Käfer nicht auf die wenigen verbleibenden gesunden Bäume übergehen. Ein irrwitziger Verlust für die Bauern; der Holzpreis geht in den Keller, der Baumbestand muss nachgepflanzt werden (eine Ausgabe, die nicht jeder so ohne Weiteres geplant hatte), hektarweise müssen die jungen Bäume eingezäunt werden, damit das Rehwild die jungen Bäume nicht auffrisst, was wiederum den Jäger besorgt, dessen Wild nun nicht mehr genügend Deckung und Fluchtwege finden kann. Der Jäger hier, der wie alle anderen auch Sepp heißt (was für mich ein Glück ist, denn so kann ich mir ihre Namen merken), hängt an seinen Rehen, schießt nur so viel, wie er per Gesetz muss, und erzählte mir neulich von dem Reh, das er mit der Flasche aufgezogen hat und das seit neun Jahren nun in seinem Garten wohnt. Und von einem Rehbock, den er „Hansi“ getauft hat, der mittlerweile auch schon im Rentenalter ist, und den er nie schießen wird, weil er ihn so gerne mag und sich immer so freut, wenn er ihn abends irgendwo stehen sieht. Gestern Abend sah ich ihn am Rand der großen Äcker Zwischenfrucht säen. In vielen Gegenden ist das nicht mehr üblich – am Ackerrand breite Streifen mit Blumen stehen zu lassen, die von den Wildbienen und Rehen gleichermaßen gerne angenommen werden. Gestern säte er, wie er erzählte, Sonnenblumen, die dann den ganzen Winter über stehen bleiben, damit die Rehe unter ihnen liegen bleiben können; außerdem Serepkasenf (unter ihm können die Fasane laufen), Stoppelrüben, Erbsen, Wicken, Ackerbohnen, Ölrettich und noch irgendetwas, was ich mir nicht auch noch merken konnte. Das alles, wohlgemerkt, direkt vor meiner Haustür. Hinter der ich mit jagdfreudigen Windhunden lebe, falls das einer vergessen haben sollte.
Ich kann mir hier keinen Faux pax erlauben: Jeder kennt jeden, und mich als Fremde sowieso. Egal, wo ich hin komme: Man kennt mich schon. „San des Windhunde?“ werde ich interessiert gefragt, und wenn ich bejahe, kommt die nächste Frage ganz selbstverständlich: „Ach, dann san Sie die Katharina von der Leyen?“ Und dass ich „am Miniberg“ wohne, ist auch kein Geheimnis. Good news travel fast. Der Jäger wußte auch schon genau, wer ich war, als ich ihn das erste Mal traf, und wo ich wohne sowieso. Eigentlich ist das praktisch. Ich muss nichts mehr erklären oder meinen Namen buchstabieren. Selbst der Herr vom Finanzamt wußte alles über mich, noch bevor meine Akten überhaupt aus Berlin angekommen waren oder ich eine neue Steuernummer bekommen hatte.
Seit heute früh dagegen also Dauerregen. Die Hunde steckten die Nasen aus der Haustür und beschlossen dann – mit Ausnahme von Barthl und Pixel -, sie müssten noch gar nicht aufs Klo. Ich zog ihnen ihre Regenmäntel über und stapfte in Gummistiefeln los; der Mais troff, Nano und Amali schlotterten erbarmungswürdig, obwohl es immer noch 18 Grad waren, Gretel und Pixel rannten durch die Nassen Wiesen, während Barthl sich in alle tiefen Pfützen warf und schlitterte sogar hinein schlitterte: Das niedliche Hündchen ist nämlich in Wirklichkeit ein Otter.
Wasser ist sein Schönstes, in allen Varianten. Wir haben ein Planschbecken aufgestellt, damit die Hunde sich abkühlen können: Barthl hält es für sein persönliches Hundebett. Er liegt dort ganze Ewigkeiten und ganz gemütlich, trinkt zwischendurch ein bisschen was,
hopst dann wieder heraus und geht auf direktem Wege in die Küche (ohne sich vorher mit Schütteln aufzuhalten), um zu sehen, ob dort vielleicht irgendetwas heruntergefallen ist, was er noch verwerten könnte.
Die anderen Hunde gehen sparsamer mit dem Planschbecken um. Nano, der gerne in Tümpeln und Seen Schlammbäder nimmt, meidet das bunte Ding und trinkt nicht einmal daraus. Pixel und Amali nutzen es zum Kneippen, Gretel tut, als wäre es nicht da, und Harry trinkt daraus, sobald ein paar Algen angesetzt haben.
Meine Hunde haben also endgültig ihren Inneren Schweinehund entdeckt und hegen und pflegen ihn. Glücklicherweise haben sie hier ihr eigenes Badezimmer (/Waschküche). Unser Shampoo-Verbrauch ist rapide angestiegen, in der Sonne flattern die Handtücher. Ich könnte das alles unterbinden, aber wie sollte ich das, wenn sie schwärzlich, matschig und stinkig, mit strahlenden Augen angerannt kommen, völlig begeistert von sich und dem Leben?
Ist doch so: Is der Hund glücklich, freut sich der Mensch.