Jetzt lebe ich schon seit acht Monaten hier. Es gefällt mir. Es ist ein guter Ort. Ich habe einen guten Menschen gefunden. Das hat ja lange genug gedauert! Ich muss wirklich sagen: Ich gönne jedem Hund einen guten Menschen. Er kann das Leben in so vielerlei Hinsicht bereichern: Letztlich sind es nicht das gute Futter, die Spielsachen und die weichen Hundebetten, die einem immer wieder täglich aufs Neue geboten werden. Obwohl das natürlich sehr angenehm ist, aber ich habe das mit dem Futter auch alleine hinbekommen, damals, als ich noch auf der Straße lebte. Aber wovon ich eigentlich rede ist das Gefühl, dass dieser Mensch einen wirklich in seiner Nähe haben möchte, dass er einen geradezu braucht. Das merkt man, wenn der Mensch einen plötzlich ganz ohne Grund liebevoll streichelt.
Anfangs war ich mir sehr, sehr unsicher, was Menschen betrifft. Man muss sie sich nur einmal genauer anschauen: Besonders vertrauenserweckend sehen sie ja nicht aus. Die Ohren sind einfach hässlich. Die Nase ist klein, trocken und praktisch unbrauchbar. Die Hände spindelig und sperrig beim Buddeln. Sicher, sie haben Körperbehaarung, aber die ist wirklich so dünn, dass sie weder wärmt, noch vor der Sonne schützt, und außerdem entfernen Menschen sie permanent (wenn wir Hunde so aussehen würden, bekämen wir permanent irgendwelche Pulver ins Futter gerührt, so viel ist sicher!).
Katharina besteht darauf, dass wir ein „Gruppengefühl entwickeln“, wie sie das nennt. Das heißt, wir müssen freundlich sein zueinander und aufeinander warten, auch wenn steinalte Trödler dabei sind, wie der alte Opi von Sabine oder unser Jack, der nun auch nicht gerade eine Rakete ist. Immerzu müssen wir herumstehen und warten, bis die beiden aufgeschlossen haben. Andererseits ist es auch ganz schön, die ganze Gruppe um sich zu haben, wenn man komischen Dingen begegnet. Anderen Menschen zum Beispiel. Anfangs habe ich mich überhaupt nicht an ihnen vorbei getraut. Ich weiß noch, wie wir die Nachbarin, Agnes mal mit ihren beiden Enkeln im Wald getroffen haben: Die wirkten irgendwie gruselig. Ich kann nicht einmal beschreiben, wieso. Aber ich habe mich so lange nicht vorbei getraut, bis sie sich zehn Meter vom Wegrand entfernt auf einen Baumstamm gesetzt hatten und woanders hin geguckt haben. Weil die Enkel so klein waren, dauerte das ungefähr eine halbe Stunde. Aber damals blieb ich meinen Prinzipien noch treu.
Inzwischen bin ich da flexibler. Andere Leute sind mir völlig egal, wenn sie nicht versuchen, mich zu streicheln oder mich anglotzen. Aber weil wir so viele sind, ist da immer einer, der sich gerne in den Vordergrund drängt, Rapunzel oder Barthl zum Beispiel, und von mir ablenkt. Obwohl die Leute sich gewöhnlich sehr stark zu mir hingezogen fühlen. Ich weiß nicht, was das ist – meine natürliche Anmut? Meine schönen Augen? Katharina hat da nie ein Aufhebens davon gemacht. Leider redet sie andauernd mit fremden Leuten, die wir treffen, anstatt dass wir einfach zügig an ihnen vorbei gehen. Wenn ich mich fürchte, stellt sie sich immer vor mich, so dass sie zwischen mir und dem potentiellen Gefährder steht. Aber bisher ist nichts passiert. Es kommen auch ständig Leute in unser Haus – ich glaube nicht, dass es normal ist, so viel Besuch zu haben. Aber die Leute kommen und bringen ihre Kinder mit und ihre Hunde, was ja ganz nett ist, und dann seufzen sie, wie schön es sei und legen unseren Garten und unsere Küche mit Beschlag. Im Haus sind mir fremde Leute lieber. Da kann ich sie besser im Auge behalten, sie bewegen sich auch nicht so viel. Und wenn es mir zu dumm wird, gehe ich in den ersten Stock. Da habe ich meine Ruhe und kann mich außerdem alleine auf Katharinas Bett legen. Die anderen Hunde scheinen Besuch großartig zu finden und sind immer mittemang dabei.
Der Einzige, bei dem ich bis heute eisern zu meinen Prinzipien stehe, ist der Nachbarsepp. Den habe ich von Anfang an nicht leiden können, und dabei bleibe ich. Ab und zu tut es mir zwar beinahe leid, denn er scheint eigentlich ein netter Kerl zu sein – das versichern auch die anderen -, aber in irgendeinem Punkt muss man schließlich konsequent sein. Und der Sepp bietet sich an, den kann ich mir merken, und der taucht auch immer an komischen Ecken auf, marschiert mit drei riesigen Pferden herum oder spritzt gegenüber von der hinteren Gartenecke seinen Trecker ab („Bulldog“ nennen die das hier). Das ich dass nicht unkommentiert stehen lassen kann, versteht sich von selbst.
Überhaupt muss ich mich hier um Vieles kümmern. Den Garten verteidigen, zum Beispiel, gegen vorbei kommende Mountainbiker, Mopeds, Pferde, Wanderer und Paketboten. Ich meine: Das ist hier meine Domäne. Mein Terrain. Mein Territorium. Egal, wie man es nennen will: Es gehört mir.
Ich habe mir das verdient. Ich habe zahllose Büsche ausgegraben, Blumenbeete zertrampelt, Blumenkästen ausgeräumt und das plüschige weiße Innenzeugs aus Spielsachen geholt, damit der Garten genau so wird, wie ich ihn haben wollte. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein Paketbote, der hier im Hof herumspaziert und irgendwelche fremden Gerüche an den ganzen Ecken verteilt, die wir hier mühsam markiert haben. Das hier ist Katharinas Haus, und was ihres ist, ist auch meines. Außer der Miete. Die ist ganz allein ihre.
Wer je eine Landkarte gefressen hat weiß, dass auch menschliche Territorien Grenzen haben. Meines auch. Grenzen sind wichtig, deshalb haben wir auch einen Zaun aufgestellt, damit Katzen, Dachse, Rehe, Füchse, Eichhörnchen, Krähen und Paketboten die Grenzen erkennen und einhalten können. Aber sie denken gar nicht daran. Vor allem die Krähen sind wirklich frech. Aber langsam haben sie gemerkt, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Und eine Ricke hat neulich direkt hinter unseren Gartenzaun ihr Kitz abgelegt. Unglaublich, was? Das liegt daran, dass allgemein die Meinung herrscht, mein Territorium höre direkt am Zaun auf. Das ist natürlich völlig realitätsfremd. Mein Territorium geht viel weiter als bis zum Gartenzaun, und ich kann es auch jederzeit erweitern. Allerdings liege ich hier etwas im Clinch mit Barthl. Der scheint seinerseits auch zu glauben, der ganze Miniberg gehöre ihm. Also muss man schnell sein. Wenn einem der schöne schattige Walnussbaum gefällt – nichts wie hin. Wenn er noch nicht markiert ist, einfach das Bein heben, und schon gehört er mir. Der Nachbarhof sieht gemütlich aus? Schlag’ zu! Wenn man erst einmal anfängt, die Welt aus diesem Blickwinkel zu betrachten, erkennt man bald, dass es keine Grenzen gibt, was die Zahl der Immobilien-Möglichkeiten betrifft. Wenn man daran pinkeln kann, gehört es mir, lautet das Motto. Das ist Hausbesetzen vom Feinsten! Man muss natürlich auch etwas dafür tun: Wenn man erst einmal entschieden hat, was einem alles gehört, muss man es auch verteidigen. Das ist der Grund, warum ich Sepp immer anbelle, wenn er über – wie er glaubt – seinen Hof läuft. Das ist längst nicht mehr seiner. Das will er nur nicht begreifen.
In der Stadt trifft man mich bisher noch nicht so häufig. Mir gefällt es dort nicht, auch wenn Katharina es immer wieder stoisch versucht. Wenn es allerdings einen Wettbewerb der Stoiker gäbe, würde ich gewinnen.
Aber wir unternehmen viele andere Abenteuer. Wir fahren an den Inn oder die Salzach, wir rasen Strände entlang und graben tiefe Tunnel, in die wir Barthl schubsen. Wenn er nicht mehr hinaus kann, sind wir fertig.
Das Leben ist gut zu mir.
xxx, Aslan