Hundetick

Ich habe einen Hundetick. Das ist unbestritten. Manche Leute haben einen Schuh- oder Handtaschenfimmel, ich habe einen Hundefimmel. Was bedeutend aufwändiger ist, aber auch lustiger. Schuhe bringen einen eher nicht zum Lachen (und wenn doch, ist das kein gutes Zeichen), aber dafür manchmal zum Weinen. Handtaschen sind in der Anschaffung fast genauso teuer wie Hunde und riechen auch besser, wenn sie nass sind, aber dafür springen sie nicht durch Reifen und holen mir kein Taschentuch, wenn ich niese.
Wie viele Leute habe ich Hunde, weil sie so aufrichtig und begeisterungsfähig sind. Man kann zu seinem Hund völlig blödsinnige Dinge sagen, und er wird einen mit einem Gesichtsausdruck ansehen, der sagt: „Mein Gott, du hast so RECHT! Wie KLUG du bist!“ Schon deshalb halten wir unsere Hunde für intelligent und übersehen ganz, dass sie den Großteil ihrer Freizeit damit verbringen, einander mit der Nase am Hinterteil des andern zu umkreisen. Hinter ihrem seelenvollen Blick vermuten wir tiefe Gedanken – und weil der Durchschnittshund recht wortkarg ist, hat er nur wenige Möglichkeiten, uns eines Besseren zu belehren. Hunde machen das Leben wirklich angenehm. Man beginnt den Tag mit Enthusiasten: „Schon wieder ein neuer Tag! Ist das nicht großartig?“, fragen sie bei meinem Anblick begeistert jeden Morgen. Ich kenne sonst niemanden, der diese Einstellung Tag für Tag durchhalten kann.
Es mangelt ihnen zwar an Weltklugheit, dafür sind sie nicht affektiert und außerdem unglaublich großzügig. Wir beanspruchen täglich und ständig ihre totale Hingabe, und sie lassen uns diesbezüglich nie hängen. Ein Hund kann sich nie damit herausreden, dass er gerade keine Zeit hat. „Heute nicht, Schatz, ich habe Kopfschmerzen“ ist keine Entschuldigung für einen Hund. Er lebt rund um die Uhr auf zwei Ebenen gleichzeitig, der menschlichen und der der Hundwelt. So ein schizophrenes Leben muss auf Dauer anstrengend sein, was ein weiterer Grund ist, warum ich mehrere Hunde habe: Ich hoffe, dass es ausgleichend auf sie wirkt, wenn sie sich nicht nur mit meinen missverständlichen Forderungen auseinandersetzen müssen, sondern auch immer in ihrer eigenen Sprache kommunizieren können.
„Quatsch“, sagt der Mann meines Lebens wenig einfühlsam. „Du hast mehrere Hunde, weil du es einfach schön findest und nicht genug haben kannst. Dir wäre jeder Grund recht, auch sieben oder acht zu halten.“
Das ist natürlich unglaublich übertrieben. Ich habe vier Hunde, und das reicht auch völlig.
Wo immer ich hin gehe, was auch immer ich tue, habe ich feuchte Nasen um mich herum. Warme Körper, Pfoten und wedelnde Ruten. Vier Paar Hundeaugen beobachten mich jeden Moment des Tages. Einen Großteil des Tages meide ich bewusst jeglichen Augenkontakt, damit sie mich nicht in einem schwachen Moment erwischen und überreden, mit ihnen zu spielen, statt mehr oder weniger sinnvolle Dinge in meinen Computer zu schreiben. Ich lasse mich gerne ablenken: Jetzt gerade z.B. machte ich den Fehler, meinen Mops Theo anzusehen. Er guckte bedürftig. Also sitzt er jetzt auf meinem Schoß und grunzt behaglich, nachdem er mir zuerst eine Ladung Mopsrotz auf die Brille geniest hat. Während ich jetzt sehr unbequem mit einer Hand tippe, kraule ich mit der anderen seinen ergrauten Kopf. Das alles dauert natürlich viel länger. Kein Wunder, dass ich dauernd meine Abgabetermine überziehe. Aber der Mops findet es schön auf meinem Schoß, und er ist doch schon so alt.
Ich verbringe Stunden damit, Bälle zu werfen, Hundefutter herzustellen, kleine Wohnzimmerteppich-kompatible Sportprogramme zu organisieren und dazwischen zu gehen, wenn Unstimmigkeiten über Kauknochen entstehen. Als Rudelführer ist man ziemlich beschäftigt. Abgesehen von den Spaziergängen frühmorgens und spätnachts stapfe ich mittags zwei Stunden in Berlins waldigem Umfeld herum. Sonntags mache ich Agility, damit meine Hunde auch mal ein bisschen Kopfarbeit leisten. Wenn ich ausgehe, entschuldige ich mich spätestens gegen halb zwölf: Die anderen Leute denken, ich habe noch wahnsinnig glamouröse weitere Verabredungen, die ich nicht preisgeben möchte- sie haben keine Ahnung. Stattdessen fährt Aschenputtel nach Hause, um in Gummistiefeln mit ihren kaniden Wegbegleitern mitternächtlich auf windigen verlassenen Grundstücken Büsche zu markieren. Gilt das schon als Doppelleben?
Jedesmal, wenn ich ins Bad gehe, begleiten mich drei von ihnen (Theo zeigt keinen Ehrgeiz, seinen Lieblingsplatz aufzugeben), falls ich irgendetwas brauche.
Neulich, als ich ans Telefon ging, habe ich in den Hörer gebellt. Wenn meine Hunde so weiter machen, haben sie mich bald vollständig auf ihrer Seite. Sie finden meine menschlichen Gewohnheiten sowieso völlig absurd, sich modisch zu kleiden, Zeitschriften zu lesen, Kolumnen zu schreiben. Sie finden, ich sollte lieber stundenlang mit ihnen durch Wald und Wiesen laufen, mit ihnen auf dem Teppich toben und mich in stinkigen Sachen wälzen.
Das Erschreckende ist: Ich finde eigentlich, sie haben nicht unrecht.

Werbeanzeige

Teilen Sie diesen Beitrag!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert