Frage: Mein 3 1/2 jähriger Border Collie Fynn ist für einen Border recht untypisch, also eigentlich sehr pflegeleicht. Er ist sehr auf mich bezogen und muss natürlich immer überall dabei sein. Ich nehme ihn mit in den Reitstall, Agility haben wir auch schon gemacht und er kann super viele Kunststücke. Kleinigkeiten, wie zu weit vor laufen, wenn wir Fuß üben oder so, finde ich jetzt nicht so dramatisch, da müssten wir einfach mehr trainieren.
Unser Problem ist wirklich nervig: Wenn ich morgens aufstehe, ist er immer so aufgedreht, weil er unbedingt los will. Das er sich freut, wenn wir losgehen, ist ja auch nichts Schlimmes, aber er ist halt immer total überdreht, springt mir in die Hose oder überhaupt an mir hoch und lässt mich nicht in Ruhe anziehen. Ich schick ihn zwar dann in sein Körbchen wo er warten soll, aber setzen ein Gejammer und Gejaule ein, dass einem die Ohren weh tun. Ich fühle mich dann so unter Druck gesetzt, dass ich mich super schnell beeilen will, damit er Ruhe gibt. Und das wird in letzter Zeit immer schlimmer. Eine Zeit lang konnte ich morgens locker bis halb 10 oder so liegen bleiben, er hat dann gewartet. Inzwischen geht ohne die Hohen-C-Töne morgens gar nichts mehr. Schimpfen klappt nicht, Klapperdose klappt nicht mehr, außer Sicht gehen klappt auch nicht, ignorieren ist so ne Sache, ich hab morgens nicht so viel Zeit mich wirklich mal länger hinzusetzen und zu warten, bis er aufhört zu jammern. Wenn ich ihn lobe, wenn er kurz mal ruhig ist, fängt er sofort wieder an. Ich weiß ja auch nicht, ob er dann wirklich dringend muss oder so. Ich will ihn ja auch nicht unnötig quälen. Vorher in den Garten packen, damit er sich kurz lösen kann klappt auch nicht, da steht er dann an der Tür und wartet bis ich mit ihm gehe. Am Schlimmsten ist das Gejammer und Gebelle und Gequieke. Wenn er sich freut oder dringend etwas möchte, hat er schon immer gemacht. Nur wird es extremer in letzter Zeit. Man kann morgens halt echt nicht entspannt aus dem Haus gehen, da er immer rumhibbelt, an mir hochspringt, bellt, fiept usw. Vor allem Sonntagmorgens ist mir das halt auch unangenehm wenn die Nachbarschaft noch schläft. Ich will auch nicht dauernd mit ihm schimpfen müssen, weil wie gesagt, er freut sich ja irgendwie nur aufs Laufen. Das ist ne verzwickte Situation. Ich hoffe, Sie können mir einen hilfreichen Tipp geben, denn ich merke auch, wie ich morgens innerlich ganz hektisch werde.
Danke schon mal im Voraus.
MfG Sabrina
Antwort: Liebe Sabrina,
in der Tat kein ganz einfaches Problem, das Sie da haben, und ich verstehe gut, dass Sie morgens ganz hektisch werden.
Obwohl es Sie so nervt, unterschätzen Sie interessanterweise gleichzeitig, was Ihr Hund da macht. Es ist nämlich keineswegs die Vorfreude aufs Laufen, die ihn morgens jammern läßt. Stattdessen sagt er Ihnen: „Los, mach‘ schneller, ich will ‚raus, mir ist langweilig!“ und das nicht, weil er grundsätzlich dringend aufs Klo muss: Mit dreieinhalb Jahren kann er unter normalen Umständen zehn Stunden anhalten. Und Sie sagen es ja selbst: Wenn Sie ihn in den Garten lassen, wartet er neben der Tür, bis Sie kommen.
Er fordert Action von Ihnen, und in den vergangenen Jahren hat er herausgefunden, wie laut und nervig er werden muss, um möglichst schnelle Resultate zu erzielen. Inzwischen hat er Sie so weit, dass Sie nicht einmal mehr ein Brot essen, weil er das nicht will.
Es klingt so, als bekäme er von Ihnen zuviel Aufmerksamkeit. Sie schreiben es selbst:
„Sehr auf mich bezogen und muss natürlich immer überall dabei sein“.
Um diese Situation zu verändern, müssen Sie wirklich viele, konsequente Veränderungen durchziehen. Im Grunde brauchen Sie einen Trainer, der Ihnen im richtigen Moment zeigt, an welcher Stelle Sie zu wenig eingreifen.
Ihr Hund fordert Ihre Aufmerksamkeit sofort ein, wenn es nicht so läuft, wie er will. Sie haben sich daran auch gewöhnt – nur morgens nervt es Sie halt.
Sie müssen seinen Ablauf komplett verändern, damit das ganze Verhalten, das er mittlerweile ritualisiert hat, wieder abgestellt werden kann.
– Ab jetzt bekommt einen festen Schlafplatz: Entweder in Ihrem Zimmer, oder im Flur, oder in der Küche. Er muß nachts NICHT ans Wasser: Er soll schlafen, nicht herumlaufen. Er kann morgens wieder etwas trinken, er lebt ja nicht in der Wüste.
– Wenn Sie morgens aufstehen, wird er NICHT begrüßt. Sie können nebenbei „Guten Morgen“ sagen, aber er wird nicht gestreichelt, nicht angesprochen, gar nichts. Sie können ihn einmal kurz in den Garten lassen, anschließend sperren Sie ihn in den Vorraum, die Waschküche, das Auto, irgendwohin, wohin Sie ihn stecken würden, hätte er sich beispielsweise in einem toten Tier gewälzt. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie ihm unbewußt andauernd Aufmerksamkeit schenken, weil Sie andauernd an ihn denken und innerlich gestreßt sind, wenn er jammert. Und er soll ja gerade lernen, dass er Sie in Ruhe läßt. Er muß lernen, dass es nicht dauernd um ihn geht. Stellen Sie sich vor, Sie hätten kleine Kinder oder noch einen ganz alten oder ganz jungen Hund, dann müßte er sich auch einfügen.
– Anschließend ziehen Sie sich an, ohne sich zu beeilen, machen sich Ihr Frühstück, und dann gehen Sie in aller Ruhe und ohne großes Hurra mit Ihrem Hund eine Runde, oder wie Sie das auch handhaben. Spielen Sie ein bisschen Ball mit ihm, üben Sie „Bei Fuß!“, und zwar richtig: Er darf beim „Bei Fuß-Gehen“ NICHT zu weit vorne gehen, denn wer führt, geht vorne, und das ist ab jetzt nicht mehr er.
– Bleiben Sie gutgelaunt. Es ist nicht seine Schuld: Er benimmt sich zwar schlecht, aber Sie haben es so weit kommen lassen. Sie können höchstens auf sich selbst genervt sein.
Führen Sie als Denkhilfe einen Stundenplan ein, wann Sie sich mit Ihrem Hund beschäftigen und wann nicht, damit Sie tatsächlich daran halten. Z.B.: Bevor Sie zum Reiten gehen, spielen sie mit Flynn dreißig Minuten auf eine Wiese. Nur mit ihm. Danach ist er nicht mehr dran, dann sind Ihre Pferde dran. Sie schenken ihm jetzt keine Aufmerksamkeit mehr.
Anschließend nach dem Reiten arbeiten Sie zehn Minuten mit ihm, Platz und Bleib, während Sie ihm einen Ball verstecken, den er erst suchen darf, wenn Sie ihm das Kommando geben. Oder Sie lassen ihn Sitz machen, werfen seinen Ball, und er darf erst los und ihn apportieren, wenn Sie ihm Bescheid sagen. Das können Sie dann noch steigern, indem Sie ihn im Lauf unterbrechen und er noch einmal „Sitz“ machen muss, und dann erst wieder los. Es ist ein Spiel, ein neues Spiel, bleiben Sie gutgelaunt. Aber es sind gleichzeitig „Einordnungsübungen“ – Unterordnung ist ein saublödes, veraltetes Wort, bei dem man immer angelegte Ohren und geduckten Gang assoziiert -, es geht darum, das er etwas für Sie tut. Bisher tun Sie das Meiste für ihn.
Anschließend ist Ruhe. Er hatte jetzt Auslauf und vierzig Minuten lang Ihre volle Aufmerksamkeit, das reicht.
Loben Sie ihn nicht mehr so stark, er klingt, als würde er sich sehr schnell stark aufziehen. Ein kurzes, ruhiges „Brav!“ ist genug.
Wenn Sie nach Hause kommen, kümmern Sie sich ÜBERHAUPT NICHT um ihn. Kein bißchen. Kein Streicheln, kein Ansprechen, kein Mini-Spiel, kein Geschmuse vor dem Fernseher. Das ist nicht für immer so, aber für mindestens drei Wochen, bis sich in seinem Verhalten irgendetwas verändert hat. Abends gehen Sie mit ihm ‚raus, bevor Sie schlafen gehen, sprechen mit ihm, aber alles in Ruhe (jetzt ist Nacht, er wird jetzt nicht mehr aufgedreht. Sport am Abend ist auch gar nicht gesund).
Am Morgen wieder dasselbe: Einmal kurz pieseln lassen, dann wegsperren. Nach ein paar Tagen wird das alles ganz normal für ihn sein. Sie gehen zuerst zur Haustür `raus, und wenn Sie mit ihm aus dem Garten gehen, leinen Sie ihn an, damit er nicht in das Ritual: Aus der Haustür `raus und „Action!“ verfällt. Wenn Sie das alles einhalten, wird es nach ein paar Wochen besser. So lange wird es dauern: Es hat drei Jahre gedauert, bis sich sein jetziges Verhalten so eingespielt hatte, es braucht eine Weile, bis er sich das alles wieder abgewöhnt hat. Und er MUSS es sich abgewöhnen: Sonst bringt er Ihnen bald bei, dass Sie nur noch bis sechs schlafen dürfen, und Frühstück haben Sie seinetwegen ja auch schon abgeschafft.
Viel Erfolg.