Fritz ist in der Pubertät. Hunde gehen wie Menschen auch durch eine Phase der Reifezeit, etwa zwischen 6 Monaten und zwei Jahren. Bei Menschen beginnt diese Phase normalerweise mit elf und hört mit etwa siebzehn auf. Bei manchen Menschen, wie z.B. meinen Brüdern, dauert die Pubertät ein Leben lang.
Fritz jedenfalls ist eindeutig mitten drin. Er befindet sich in einem Zustand der permanenten Rebellion. Er hat alles vergessen, was er je beherrschte, er beharrt auf geradezu groteske Weise auf seiner Unabhängigkeit (vor allem, wenn alle Hunde gerade ins Auto steigen sollen), und testet mich ununterbrochen. Bedeutet das Wort Sitz“ heute dasselbe wie gestern? Fritz? Nie gehört, den Namen. Meinst du mich?“. Wie die meisten Teenager ist er besessen von Sex, rast kilometerweit Hündinnen hinterher und macht nicht einmal vor kastrierten alten Mädchen halt, die den Charme einer kaniden Miss Marple als Hund ausstrahlen.
Wie menschliche Teenager langweilt er sich andauernd. Egal, wie ausschweifend ich das Hunde-Unterhaltungsprogramm gestalte: In den wenigen Pausen kickt Fritz imaginäre Bierdosen herum, legt sich unter meinen Schreibtisch, seufzt laut, steht wieder auf, legt sich woanders hin, versucht, auf meinen Schoß zu klettern, dann doch nicht, und versucht siebenhundertdreiundzwanzig Mal hintereinander, seinen Kauknochen auf dem Sofa zu fressen, obwohl er genau weiß, dass das verboten ist. Früher ging man davon aus, die ganze Misere läge an den Hormonen, die im Körper unschuldiger Kinder und junger Hunde Ping-Pong spielten und sie dadurch zu seltsamen Verhaltensweisen zwangen. Inzwischen ist man klüger.
Gehirnforscher haben festgestellt, dass das Hirn von Teenagern ebenso stark wächst wie in den ersten beiden Lebensjahren. In diesen beiden Phasen beobachtet man bei Kindern die erstaunlichsten Verhaltensveränderungen. Gerade die Stirnlappen (der präfrontale Kortex ) – der Teil des Gehirns, der dem Teenager hilft, das Richtige zu tun, der für das Kurzzeitgedächtnis zuständig ist, für Hemmungen und Impulssteuerungen – gehört zu den Gehirnbereichen, die das Ende ihrer Entwicklung erst lange nach dem 20. Lebensjahr erreicht. Darum sind Teenager nicht in der Lage, die Folgen ihrer Handlungen vorauszusehen. Sie können ihr Verhalten nicht wie Erwachsene steuern: 14jährige haben einfach kein so genanntes Folge-Denken.
Mittlerweile wird immer deutlicher, dass das Teenagergehirn in vielerlei Hinsicht unfertig ist – eigentlich ist es eine einzige Baustelle. Millionen von Verbindungen zwischen Nervenzellen werden neu geknüpft, Millionen andere verschwinden“, so Elizabeth Sowell, Gehirnforscherin an der University of California in Los Angeles und eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet.
Mit diesem Wissen müssen doch alle Eltern Fische, Frösche, Hummer und die anderen Tiere beneiden, die ihre Nachkommenschaft in Form von Eiern irgendwo ablegen und dann ohne die Bürde der Verantwortung befreit davon schwimmen oder hopsen. Bei dem Gedanken, pubertierende Kinder auch nur eine Stunde lang alleine in der Wohnung zu lassen, bricht selbst mir der kalte Angstschweiß aus.
Oder Fritz. Der sich plötzlich wieder darauf besonnen hat, Sachen zu zerkauen, wie er das als Welpe gemacht hat. Damals beschränkte er sich vor allem darauf, Zeitungen zu schreddern. Jetzt interessiert er sich nur noch auf besonders wertvolle Papiere wie Verträge oder Geld. Neulich schredderte er 400 Euro in Form von 20-Euro-Scheinen. Er war kurzfristig zur Adoption frei.
Heute früh stürzte sich mein pubertärer sechs-Kilo-Hund mit Gebrüll auf den Staffordshire-Terrier des Nachbarn. Der arme Kampfhund rollte sich sofort auf den Rücken, um sich dem hysterischen Windspiel zu unterwerfen.
Beim nächsten Mal könnte die Pubertät auch ganz schnell beendet sein.