Ich dachte eigentlich, das wüsste jeder: Seit dem 1. April gilt in den meisten Bundesländern die Leinenpflicht in Wald und Feld, weil bis zum 15. Juli die Setzzeit ist (in einigen Ländern liegt der Anfangstermin bereits im März).
Stattdessen traf ich heute eine Frau, die ihren Hund munter hinter zwei Rehen herlaufen ließ und mir erklärte, der Hund würde die Rehe „ja sowieso nicht bekommen“.
Ich war kurz versucht, ihr etwas vom Streß von Rehwild, Fehlgeburten und schwere Verletzungen zu erzählen, merkte aber, dass bei dieser Dame der Tierschutz offenbar beim eigenen Hund aufhörte.
Es ist schlicht so:
Zwischen März und Mai werden die meisten Frischlinge geboren. Die Bachen reagieren extrem empfindlich auf Eindringlinge. Ich habe selbst den ein- oder anderen Jagdhund mit fürchterlich durchlöcherten Schenkeln gesehen, die bei einem Reviergang einer wütenden Bache zu nahe kamen (mir begegnete einmal im Grunewald ein ganzes Rudel aus Erwachsenen, Halbwüchsigen und Frischlingen, und gerade, als ich mich auf Zehenspitzen davonmachen wollte, blaffte mein sehr alter, halbblinder Mops Theo die Wildschweine empört an: O Gott, war das furchtbar., als die Schwarzen auf uns zu rannten und ich los, während der Mops an der Leine hinter mir herflog wie ein schlecht gebastelter Kinderdrachen… Mein Pudel Luise bellte die Schweine dann an, woraufhin sie sich offenbar erschraken und von uns abließen).
Und nein: Die Hunde (außer denen, die praktisch keinerlei Jagdtrieb haben wie z.B. Mops, Bulldogge, Pekinesen, King Charles Spaniel, Bordeaux Dogge, Shi Tzu etc.) lassen sich nicht mehr abrufen, wenn sie erst einmal ein winziges Kitz vor sich haben oder die Ricke davon rennt – ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich kannte einen Papillon-Chihuahua-Mischling, der wild entschlossen war, einem Kitz, das er im Unterholz fand, den Garaus zu machen, wovon ich ihn nur mühsam abhalten konnte. Auch wenn es oft so aussieht, als wäre gar kein Wild unterwegs: Die Rehgeiß setzt im Mai/Juni ein oder zwei Kitze und versteckt sie im hohen Wiesengras. In den ersten paar Tagen nach der Geburt sind die noch recht unbeholfenen Kitze natürlich besonders gefährdet, weil sie einfach noch gar nicht weg können, falls ein Hund sie findet.
Um den kommenden Winter überleben zu können, müssen sie bis dahin ihr Geburtsgewicht um das vier- bis fünffache auf zumindest 10 -12 kg erhöhen – das können sie aber nicht, wenn sie in Gegenden, in denen viele Hunde frei laufen dürfen, immer wieder vor Hunden fliehen müssen, denn Flucht verbrennt extrem viel Energie.
Füchse wiederum werden im März geboren, die Welpen spielen sechs, sieben Wochen später gerne auf abgelegenen Reit- und Waldwegen – und sind oft auch noch zu klein und dusselig, um einem Hund zu entkommen.
Auch Hasen, Kaninchen, Rebhühner und Fasanen sind besonders gefährdet, weil sie ihre Jungen relativ ungeschützt auf der Erde bekommen. Vertreibt der Hund brütende Vögel, besteht außerdem die Gefahr, dass die Eier im Gelege auskühlen oder von anderen Tieren zerstört werden.
Der Jäger muss Sie auf Fehlverhalten aufmerksam machen, wenn er Sie dabei erwischt, weil er als „Jagdausübungsberechtigter“ die gesetzliche Pflicht zur Hege und zum Schutz des Wildes hat. Pampig zu reagieren bringt also nichts – jeder Jäger hat schon halb tot gebissene Kitze oder Rehe schießen müssen oder hochschwangere Ricken mit gebrochenem Genick gefunden, die irgendein Hund in einen Zaun getrieben hatte: Ihr Humor hält sich dementsprechend Hunden und gegenüber ahnungslosen Hundehaltern in Grenzen.
Halten Sie Ihre Hunde einfach an der Leine – oder wenigstens an der Schleppleine, und bleiben Sie auf den Wegen.