Wenn man ein bisschen im Tierschutz tätig ist, erlebt man immer wieder schöne, spannende und auch ganz erstaunliche Dinge. Ich glaube, dass nirgends so viele Last-Minute-Jobwechsel stattfinden, wie in diesem Feld, und nirgends sonst von so plötzlichen Todesfällen in der Familie erfährt – weshalb man den Hund, der nun extra wegen dieser speziellen Anfrage aus Spanien/Türkei/Griechenland/Rumänien/etc. nach Deutschland transportiert wurde, nun ganz plötzlich doch nicht nehmen kann.
Kommt natürlich alles vor. Aber in dieser Anhäufung wirkt es manchmal wundersam.
So ging es auch Amali. Amali ist eine etwa ein Jahr alte weiße Galga, die in die Schweiz ziehen sollte. Die Bewerber klangen großartig, die Person, die die Vorkontrolle machte, war begeistert, es hatte dort vorher vierzehn Jahre lang eine Galgo-Hündin gelebt, der Garten war groß und schön, es gab einen kleinen Puschelhund als neuen Freund und einen Kater, was kein Problem wäre, denn Amali liebt alle Menschen, alle Tiere und das Leben überhaupt und hat mit nichts und niemandem ein Problem. Sie ist einer der seltenen, glücklichen Galgos, die ganz bestimmt nicht beim Jäger waren (das verriet sie dadurch, wie schlecht sie an der Leine ging. Wenn die Galgos bei ihren Jägern überhaupt etwas lernen, dann sehr artig an der Leine zu gehen), sondern bei irgendjemandem im Haus aufwuchsen. Amali kennt Staubsauger, findet Rasenmäher lustig, und stiehlt wie ein Rabe, weil sie – im Gegensatz zu beispielsweise meinen Hunden – gelernt hat, dass es auf der Küchenanrichte oder dem Esstisch Dinge zu holen gibt, die Hunden eigentlich vorenthalten werden sollten. Sie ist auch sehr literaturinteressiert: Zuerst fraß sie eine frühe Ausgabe von Thomas Manns „Herr und Hund“, danach Jean Pual Sartres „Die Wege der Freiheit“. Sehr passend, trotzdem hoffe ich, dass es Zufall war. Hunde, die zu intelligent sind, kosten einen normalerweise den letzten Nerv. Allerdings war sie nicht so überschlau, nicht ins Haus zu pieseln (was allerdings auch eine Stressreaktion zu den völlig neuen, veränderten Lebensbedingungen gewesen sein könnte), und ruinierte im Nullkommanox einen sehr schönen grauen Wollteppich.
Aber dafür grunzt sie wonnig, wenn sie sich wohl fühlt, lange, zufriedene stimmliche Seufzer.
Amalis neues Zuhause fuhr erst einmal in die Ferien, es wurde geplant, den Hund anschließend in der Mitte der sehr, sehr weiten Strecke ins neue Zuhause zu übergeben. Termine wurden verlegt und Pläne gemacht, denn so ohne Weiteres fährt man ja nicht mal eben 700 Kilometer in eine Richtung.
Dann fiel dem neuen Zuhause plötzlich ein, dass der Hund ja täglich neun, zehn Stunden alleine bleiben müsste.
Wie bitte? Das merkt man erst eine Woche, bevor der Hund umziehen soll?
Und nicht in den vielen, vielen Wochen, in denen man über den Hund nachgedacht hat, die Vorkontrolle zu Besuch, mit der Pflegestelle gesprochen und die Tierschutzorganisation mit Fragen gelöchert hatte?
Na. Macht ja nichts: Amali hat ein Dach über dem Kopf. Sie wird erzogen, geliebt und bespaßt, den ganzen Tag nimmt man ihr Dinge aus dem Maul, die sie nicht fressen soll, wie Brillen, Augentropfen, Bücher, Zeitschriften, Post, Turnschuhe, Nadelkissen mit Nadeln, USB-Sticks, Kissen oder Troddeln von Kissen, und tauscht sie gegen Spielzeug.
Braaaaver Hund.
Und natürlich ist sie hinreißend und eine Bereicherung fürs Leben und sehr verspielt und easy und gehorcht inzwischen gut und fügt sich wunderbar ein. „Die will hier doch nie wieder weg!“ meinte jemand. Natürlich nicht: Kein Hund, der hier je über die Schwelle marschierte, wollte hier je wieder weg (außer George, aber der wünschte sich einen Thron, und sowas führen wir hier nicht). Wenn ich in einem 5-Sterne-Hotel untergerbacht werde, will ich schließlich auch nie mehr weg.
Neulich sagte jemand zu mir, er habe immer gedacht, ich hätte ein Helfer-Syndrom – inzwischen glaubte er, ich habe ein Hunde-Syndrom.
Wo er Recht hat, hat er Recht.