Ausgenutzt, abgerockt und abgeschafft

Am Sonntag war ich mal eben im Osten, um an der polnisch-dänischen Grenze (also: seeeeeehr weit oben) einen Hund abzuholen.

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Das Hündchen (groß wie ein Turnschuh Größe 39) war mir aufgefallen, als ich bei Ebay-Kleinanzeigen bestimmte Anzeigen für Zwerghunde recherchierte. Ich arbeite momentan an einem Text über Welpenhandel (nein, leider nichts, worauf man sich als Leser „freuen“ kann).

Unerträglich die Zahl der Hunde, die auf Deutschlands größter Handels-Plattform wöchentlich – ach, täglich! – verschachtert, abgegeben, abgeschoben und in ein neues, ungewisses Leben geschickt werden mit fadenscheinigen Begründungen, mit und (eigentlich immer) ohne Papiere, ohne Gesundheitszeugnis, ohne Verantwortung.

Und so auch dieser Hund:

Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet bei diesen Bildern hängen blieb. Vielleicht, weil die Fotos so lieblos waren und es dem Fotografen offenbar egal war, ob die Hündin dabei niedlich oder wenigstens einigermaßen gepflegt aussah, oder weil die Kleine so einen unglaublichen Juckreiz zu haben schien, dass sie nicht einmal zwei Fotos lang still halten konnte, ohne sich zu benagen. Bei Hautproblemen schaue ich immer genau hin: Haut kann ich.

Im Auftrag einer Freundin suchen wir für die Hündin ein neues Zuhause. Sie ist acht Jahre alt und hat im Sommer ein Ekzem. Sie ist ein lieber ruhiger Hund. Sie kommt mit Katzen gut klar. Das gute Zuhause ist uns wichtig und wird auch kontrolliert.“

Ich lief tagelang mit dieser Anzeige im Kopf herum und sagte mir vor, welche Medikamente das kleine Ding bräuchte, womit ich sie baden müsste, damit der schreckliche Juckreiz weg ginge, der sogar auf dem schlechten Foto sichtbar war. Ich konnte sogar auf dem linken Bild einen Floh erkennen.

Unglücklicherweise kann ich schlecht wegschauen, wenn irgendwo Ungerechtigkeiten geschehen. Meine innere Pallas Athene erhebt sofort ihr Schwert, ich suche nach Lösungen und kann nicht nachgeben, bis ich etwas erreicht habe. Das klingt ehrenwert, nervt aber gewaltig: nicht nur mich, der ich deshalb schon immer Migräne und neuerdings Bluthochdruck habe (als Zeichen der fortschreitenden Vergreisung …) , sondern auch mein Umfeld, das sehr häufig irgendwie mitziehen muss, weil ich die Welt ja nicht ganz alleine retten kann. Um es gleich zu sagen: Es tut mir wirklich leid. Ich kann aber nicht anders. Wenn ich helfen kann, wenn ich für meine Verhältnisse relativ einfache Lösungen anbieten kann, dann muss ich etwas tun in meiner bescheidenen, sehr übersichtlichen kleinen Welt. Ich habe einen hohen Anspruch. Ich möchte nicht schlafen gehen und mich vor mir selbst genieren, weil ich jemandem nicht geholfen habe, dem ich ganz leicht hätte helfen können, oder weil ich zu faul war, jemandem etwas Nettes zu sagen, was mich nur zwei Sekunden gekostet hätte, oder weil ich irgendetwas nicht gemacht habe, was von mir nur ein bisschen Zeit abverlangte, das Leben eines Anderen aber unendlich verbessert hätte. Ich will keinen Konjunktiv in meinem Leben.

Seit meiner Kindheit sind Tiere mein großes Thema. Ich wäre gerne Verhaltensbiologin geworden, meine Familie fürchtete, ich würde in dem Beruf verhungern, also wurde ich lieber Journalist (die Ironie des Lebens). Ich habe schon als Kind jeden Wellensittich gerettet, der irgendwo entflogen war, stapelte irgendwem entlaufene Kaninchen in meinem Zimmer, fand alle Hunde, die von irgendwem vermisst wurden, rettete Ponies, Igel, Elstern und brach in Tränen aus, wenn die Bienen starben, nachdem sie mich gestochen hatten (was mich damals wie heute direkt auf die Intensivstation der örtlichen Krankenhäuser führt). Es ist nicht so, als hätte ich eine Wahl: Ich kann nicht anders. Das Wort „Nein!“ ist für mich schwerer auszusprechen als Supercalifragilisticexpialigetisch. Etwas, was ich zunehmend übe, und mir auch zunehmend fürchterliche Kopfschmerzen verursacht.

Ich schrieb also eine artige Nachricht, stellte mich vor, hob meinen schönen Garten hervor, dass ich mich mit Ekzemen bei Hunden sehr gut auskennen würde, und bot an, Fotos zu schicken.

Als Antwort bekam ich: „Bisschen weit, oder“. Sonst nichts.

So liebenswürdig, wie ich nur konnte, antwortete ich, dass mir der lange Weg nichts ausmachen würde. Ich wurde absolut nichts gefragt. Niemand wollte wissen, wie groß meine Hunde seien, wie mein Tagesablauf mit den Hunden sei, was ich füttern würde – die Dinge, die man doch so wissen will, wenn der Hund in ein neues Leben ziehen soll. Die Geschichte des Hündchens war verworren, irgendjemand, der sich trennte, der Hund sei noch beim Mann, da würde er aber keine Aufmerksamkeit bekommen, die Sich-Trennende müsse aber einen Neustart machen, sowas. Ich sprach das Hautproblem an, das ja nicht zu übersehen war – die Kleine sah aus wie ein Putenschnitzel mit Haaren -, und war etwas baff, als es plötzlich um eine „Schutzgebühr“ ging. Ob ich, wenn ich einen achtjährigen Hund mit offensichtlicher Krankheit (und sicherlich noch einigen, von denen ich noch nichts wußte) übernahm und dafür knapp 1700 Kilometer fahren würde, wirklich etwas zahlen solle? Sofort wurde der Tonfall pampig, ich sei wohl nicht die Richtige, sie habe noch andere Bewerber, vielen Dank für mein Interesse.

Über Nacht stellte sie dann offenbar fest, dass sie doch keine anderen Bewerber hatte, jedenfalls waren wir am nächsten Morgen wieder im Gespräch. Keine einzige meiner Fragen wurde beantwortet, ich sollte aber bitte sofort kommen und den Hund nehmen. Ich könne am Samstag kommen, meinte ich. Nein, Samstag ginge nicht, da müssten sie eine Küche aufbauen. Es wäre aber eine ziemlich lange Fahrt und mein Hundesitter hätte nur am Samstag Zeit, ob man mir nicht einfach kurz den Hund in die Hand drücken könne – nein, keine Chance.

Langer Rede, kurzer Sinn: Am Sonntag fuhr ich also mit einer Freundin nach Berlin. Ich hatte jemanden organisiert, die die Kleine an der dänisch-polnischen Grenze abholen und nach Berlin fahren würde: Das würde mir immerhin vier Stunden Fahrt ersparen, was bei einer Strecke von 1700 km durchaus ins Gewicht fällt. Eine wunderbare Person, die keine Sekunde zögerte und sofort zusagte, und die früher im Berliner Tierheim gearbeitet hatte und nicht auf den Mund gefallen war, so dass ich mir keine Sorgen machen musste, ob sie den Hund wirklich bekommen würde.

Als ich die kleine Hündin in Berlin übernahm, sah sie unfassbar aus. Lange, verfilzte Schnüre hingen an ihr herunter, der hintere Teil des Rückens war nur sehr spärlich behaart, darunter dickte, verschorfte Haut zu sehen, die scharf roch.

Die Daumenkralle

Sie war voller Flöhe und juckte sich ohne Unterlass. Sie lief schief und mit hochgezogenem Rücken, was daran lag, dass ihre Krallen so lang waren, dass sie in einem Bogen über die Zehen und Ballen gewachsen waren, weshalb sie nicht richtig laufen konnte („Die ist faul, die geht nicht spazieren. Balkon reicht!“). Die Daumenkrallen bildeten ein festes, geschlossenes „O“. An der Hinterhand hatte sie keinen einzigen Muskel (weil sie sich ja nicht bewegt hatte in ihrem vorherigen Leben), ihre Kniescheiben sind weich und wackelig. Einen Impfausweis gab es nicht („Ja, die ist geimpft, aber der Impfpass ist verloren gegangen“). Sie war ein Bild des Jammers.

Die Haut war überall rot

Aber sie war offen und freundlich und wirkte erstaunlich ungestresst. Ich badete sie sofort noch in Berlin, damit ihre Flöhe sich nicht in meinem Auto niederlassen würden, und um mithilfe des Bades den Juckreiz zu lindern. Das gefiel ihr ganz gut. Anschließend schmierte ich sie mit Propolis-Salbe ein, die sogar gegen Brennessel-Gepiekse wirkt. Und tatsächlich kratzte sie sich während der gesamten Autofahrt von acht Stunden kein einziges Mal. Wegen ihrer unglaublich absurden Ohren nannte ich sie Yoda.

Zuhause begrüßte ich meine Hunde ohne sie im Haus, dann zeigte ich ihr alleine den Garten. Anschließend ließ ich in großer Ruhe einen Hund nach dem anderen zu ihr – wenn der erste Hund sich beruhigt hatte und kein besonderes Interesse mehr an der Kleinen zeigte, liess ich den Nächsten nach draußen, damit keine Spannung aufkam. Auf diese Weise wurde sie immer jeweils kurz begrüßt, und dann war sie auch schon nicht mehr wichtig.

Yoda nahm die Hunde-Horde sehr tapfer hin. Hunde kennt sie, auch große, und geht ihnen sehr geschickt aus den Füßen. Rapunzel würdigte sie keines Blickes („Fußvolk“, schien sie zu denken, „ein kleiner Troll.“), und Barthl have ich auch schon enthusiastischer erlebt, aber je uninteressanter der Besuch bzw. Neuzugang, desto unaufgeregter die Integration.

Noch in der Nacht schnitt ich alle Krallen, was anstrengend war, weil ihr beim Anblick der Schere buchstäblich alle (wenigen) Haare zu Berge standen. Aber der Gang – vorher zog sie ihren Rücken so hoch, dass ich schon fürchtete, sie habe vielleicht auch Spondylose – verbesserte sich von einer Sekunde auf die nächste. Sie ist, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, keineswegs „faul“ – sie konnte aufgrund der Krallen, die so unglaublich lang waren, einfach nicht vernünftig gehen.

Als wir schließlich schlafen gingen, kratzte sie sich die ganze Zeit. Sie konnte einfach nicht zur Ruhe kommen – und dadurch auch sonst keiner.

Man stelle sich vor: So muss ihr Zustand in den letzten paar Jahren gewesen sein. Ständiger Juckreiz. Permanente Unruhe. Ich selbst bin gegen Wespen allergisch. Der Juckreiz (kurz bevor ich üblicherweise in Ohnmacht falle) ist so unerträglich, dass man sich allen Ernstes überlegt, aus dem Fenster zu springen. An Stellen, an die man einfach nicht herankommt. Wenn man sich juckt, wird es schlimmer. Gleichzeitig fängt es an anderen Stellen an. In den Ohren. Am Rücken. An allen Schleimhäuten.

So muss Yoda sich gefühlt haben. Immerzu.

Also badeten wir nocheinmal in dieser Nacht. Mit den Seifen, mit denen ich praktisch alle Probleme wegwasche, „Zenzem“ und „Peace“ von Joveg. (siehe auch hier und hier) Tatsächlich beruhigte sich die Haut der Kleinen praktisch umgehend. Wir konnten diesen merkwürdigen, irre anstrengenden, aufregenden Tag friedlich beenden.

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11 Kommentare

  1. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.
    Mir fällt nur das folgende dazu ein:

    Grooossssarrrrtig!!!!!

    Und dann noch: ich hatte auch schon „solche“ Hunde.
    Und es lohnt sich über die Maßen.
    Jetzt muss niemand mehr Mitleid mit ihr haben, denn jetzt – endlich – geht es Yoda gut.

    Katharina, Dankeschön <3

  2. Liebe Katharina,
    ich bin eigentlich eine stille Leserin und großer Fan Ihrer Literatur.
    An dieser Stelle möchte ich jedoch mal ein hochachtungsvolles DANKE hier lassen – Danke für Ihr unermütliches Engagement und den Mut, all diese Recherche zu betreiben und dabei wissentlich auf unerträgliches Leid zu stoßen. Für den Tierschutz und die Aufklärung ist es global betrachtet nur ein Tropfen auf den heißen Stein – Yoda hingegen haben Sie das Leben gerettet und vor allem das Leben lebenswert gemacht. Das Traurigste daran und das, was mich am wütendsten macht, ist, dass sich niemand, der besagte Kleinanzeigen und Co. auf diese Weise nutzt, jemals reflektieren wird.

    Passen Sie gut auf sich auf!
    Liebe Grüße
    P.S. Als Skandinavistin M.A. würde mich zu guter Letzt noch interessieren, wo eine dänisch-polnische Grenze existiert (exkl. maritimer Grenzen)? 😉

  3. Danke, Danke was Sie für diesen goldigen Hund getan haben und weiterhin tun. Yoda ist so ein lieber Hund – sehe ich – und nun hat sich ihr Leben zum Guten gewandelt, dank Ihnen. Das ist das Allerwichtigste und ich bin so froh, dass Sie sie gerettet haben. Was gibt es nur für Grausamkeiten auf dieser Welt. Aber es lohnt sich immer, ein Wesen zu retten und Gutes zu tun. Es macht uns glücklich.

  4. Monika Tetzner

    Liebe Katharina von der Leyen,

    dass die Anzeige Sie nicht losließ, kann ich sehr gut nachempfinden.
    Wie gut das war, zeigte sich, als Sie die Kleine dann vor sich hatten…
    „Das gute Zuhause ist uns wichtig…“ – welch ein Hohn angesichts des Zustandes dieses Tieres.
    Ich freue mich, dass Sie auf Ihre innere Stimme gehört haben. Die kleine Yoda hätte es nicht besser treffen können und wird den Rest ihres Lebens in Sicherheit, geliebt und umsorgt sein.
    Bitte berichten Sie uns weiter über ihre Fortschritte!
    Herzliche Grüße, Monika

  5. Katharina Liechti

    Würde ich Sie nicht besser « kennen », würde ich denken, schön erfundene Geschichte! Denn wer macht denn sowas?
    Eben SIE!
    Dieses Hündchen ist wirklich ein Glückspilz und Ihnen sei es verdankt!

    Chapeau!

    Und… bleiben Sie bitte genau so wie Sie sind!

    Ganz liebe Grüsse

  6. Renate Hollermann

    Hallo Frau von der Leyen,

    Respekt! Und wie schön, dass dieses Häufchen Elend bei Ihnen gelandet ist.

    Eine Frage an die Fachfrau: Würde eine der beiden Seifen auch gegen Herbstgrasmilben helfen? Die sind bei einem unserer Hunde aktuell wieder Thema.

    Herzliche Grüße
    Renate Hollermann

    • Liebe Frau Hollermann, es gibt eine Parasiten-Seife von Joveg, die ich fabelhaft finde. Grasmilben sind wahnsinnig mühsam, und eigentlich muss man den Hund nach dem Turnen im Gras in die Wanne stellen und einmal schnell mit der Seife abwaschen, dann ist der Spuk schnell wieder vorbei.

  7. Ich habe sie heute kennengelernt die „kleine „. Sie ist eine ganz süße Dame und einen besseren Platz wie bei Katharina gibt es nicht. Sie hat sozusagen einen 6er im Lotto. Ich finde es großartig was du machst. Wenn ich könnte wäre das für mich auch eine Bereicherung im Leben. Wer weiß was noch kommt……

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