Heute morgen ging ich gegen neun Uhr mit meinen Hunden in den Wald, weil es so strahlend schön war und ich anschließend den restlichen Tag arbeitend an meinem Schreibtisch verbringen wollte. Wir gingen zwei Stunden lang spazieren, vorbei an den Longhorn- und Angus-Rindern, die hier im Rahmen eines Re-Naturalisierungsprojektes auf gigantischen eingezäunten Weiden ganzjährig praktisch freileben.
Irgendwann hörten wir Hundegebell, und zwei sehr hübsche Bayerische Gebirgsschweißhunde erschienen vor uns auf dem Weg – eine ausgesprochen wohlgenährte Hündin und ein sehr schöner, dunkler, etwa sechs Monate alter Junghundrüde. Kein Mensch weit und breit, die Hunde ohne Halsung – die Hündin dafür aber hochgradig läufig, was Fritz ausgesprochen entzückte. Ich wartete eine Weile, hörte aber weit und breit niemanden rufen oder pfeifen, und machte mich dann auf meinen Heimweg, wobei ich die beiden rief, um sie mitzunehmen. Sie kamen auch ohne Diskussionen mit – die Hündin, weil sie sich schwer in Fritz verliebt hatte, der ziemlich unsichere Rüde, weil ihm nichts andres übrig blieb: Mitgehangen, mitgefangen. Aber ich lasse verloren gegangene Hunde nicht einfach laufen. Ich selber wäre froh, wenn jemand in so einer Situation meine Hunde einsammeln würde.
Nachdem ich ja finde, es gibt bereits genug Mischlinge auf dieser Welt und mir beim besten Willen nicht vorstellen will, wie Mischlinge aus Bayerischem Gebirgsschweißhund und Italienischem Windspiel aussehen könnte, musste ich also Fritz daran hindern, die Hündin zui besteigen, obwohl sie ihn permanent und ohne die geringste damenhafte Zurückhaltung oder Scham dazu aufforderte.
Gehen Sie mal eineinhalb Stunden lang mit einer fremden läufigen Hündin an der Leine, und einem Italo-Lover an der anderen Leine spazieren: Nach einer Stunde war ich komplett schweißgebadet. Niemand von den Spaziergängern, die mir begegneten, hatten irgendjemanden nach seinen Hunden suchen oder rufen gesehen. Ich versuchte, den Förster zu erreichen in der Hoffnung , er würde die beiden Hunde vielleicht kennen – Gebirgsschweißhunde sind selten hier in der Gegend, und die meisten Jäger kennen die Hunde ihrer Kollegen: Er war nicht da. Wahrscheinlich Samstagmorgen-Shopping, oder er saß in einem Café – eben das, was normale Leute Samstagsmorgens machen. Fritz steigerte sich langsam in Hysterie hinein, und die Hündin schoß im Galopp an der Leine um mich herum, um an Fritz heranzukommen, und Ida nutzte meine Unaufmerksamkeit und wälzte sich in einem Menschenhaufen, das reizende Tier.
Nach Hause mitnehmen konnte ich die läufige Hündin schlecht, vor allem, weil Fritz nun anfing, dem Jungrüden dauernd Ohrfreigen zu versetzen, sobald der in die Nähe der Hündin kam. Also stopfte ich meine Hunde schnell ins Haus (ohne Zeit zu haben, Ida noch kurz zu baden) und die beiden Schweißhunde in mein Auto. Dann rief ich die Polizei an, die mir mitteilte, ich müsse die Hunde ins Berliner Tierheim fahren, ihr Problem wären Fundhunde ja schließlich auch nicht. Ich log, ich hätte kein Auto (das Berliner Tierheim ist von hier aus eineinhalb Stunden entfernt), und sie rieten mir, mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinzufahren. Stattdessen fuhr ich zu meiner Tierärztin, weil ich hoffte, sie gehörten vielleicht zu ihren Patienten: Fehlanzeige. Wir riefen jeden einzelnen Tierarzt der gesamten Umgebung an: Niemand kannte die beiden Hunde. Der Rüde hatte einen Chip, nur leider war die Nummer weder bei TASSO noch beim Haustierregister zu finden. Zwei Stunden lang versuchte ich, das Berliner Tierheim zu erreichen, weil ich mir gar nicht sicher war, ob die Hunde – die ich in Brandenburg gefunden hatte – überhaupt ins Berliner Tierheim gehörten: Dort war niemand zu erreichen.
Schließlich erreichte ich irgendeinen Tierarzt, der mir immerhin sagen konnte, dass die Hunde NICHT ins Berliner Tierheim gehörten, selbst, wenn mein Wohnort noch Berlin sei, weil die Hunde zwischen Zepernick und Schönow herumgelaufen wären; ich solle also ins Tierheim nach Ladeburg fahren.
Da ging niemand ans Telefon.
Mittlerweile war es ein Uhr, ich hatte bisher weder gefrühstückt, noch auch nur einen Tee oder ein Glas Wasser getrunken, meine Hunde zuhause waren ungefüttert, und meine Laune war auch nicht richtig super. Meine Tierärztin holte Kekse, um Schlimmstes zu verhindern, und endlich erreichte ich jemanden im Tierheim Ladeburg. Wo ich denn die Hunde gefunden hätte, wollte der Mann wissen. Ich beschrieb es ihm ungefähr, konnte ihm aber die genaue Postleitzahl auch nicht sagen: Wald ist schließlich Wald.
Schließlich fuhr ich die beiden Hunde also nach Ladeburg – ich hätte sie ja durchaus behalten, bis der Besitzer sich meldete, aber keine hochgradig läufige Hündin. Dabei lernte ich immerhin, dass das dortige Tierheim durchaus schön ist ( www.tierheim-ladeburg.de ), mitten im Wald, die Hunde leben großteils in Gruppen in großen Zimmern mit Zugang zu einer eigenen Terasse; überall spazierten ältere Damen herum und machten Auslaufdienst. 70 hunde warten dort momentan auf ein neues Zuhause, Ziegen, zwei Schweine, mehrere Pferde und natürlich viele Katzen.
Der Leiter des Tierheims sah die beiden glänzenden Hunde an, maß dann mich mit mißtrauischem Blick und fragte: „Die wollen sie im Wald gefunden haben? Mit Halsband und Leine und allem?“ Ich versicherte ihm, dass ich ihm keineswegs feige meine eigenen Hunde unterjubeln wollte, und die Halsungen und Leine von meinen Hunden zuhause stammten. Er glaubte mir gerade mal eben so. Immerhin war ich an der richtigen Adresse – wäre ich ins Berliner Tierheim gefahren (was ich fast getan hätte, weil ich ja telefonisch niemanden erreichen konnte), hätte man mich die 23 Kilometer wieder zurück geschickt).
Jetzt ist es vier Uhr nachmittags, ich bin glücklich wieder zuhause, habe soeben meine Hunde gefüttert, gehe jetzt gleich nochmal mit ihnen spazieren, und bin, ehrlich gesagt, völlig erledigt.
Dabei wollte ich wirklich nur mit meinen Hunden spazierengehen, um dann in Ruhe zu arbeiten.
„Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß“ ist der Titel des Lebens von anderen Leuten, soviel ist sicher.