Jockel und Violetta sind zu Besuch, weil ihre Familie ein neues Baby bekommt. Das Baby lässt sich Zeit: Seit 36 Stunden macht es jetzt auf schmerzhafte Wehen alle 10 Minuten, macht aber keine ernsten Anstalten, wirklich zur Welt zu kommen.
Jockel und Violetta lässt das völlig unberührt. Sie sind frei von jedem Mitleid, wahrscheinlich, weil sie, anders als ich, noch keine Wehen erlebt haben. Ich muss allerdings zugeben: Ich selber kenne Wehen auch nur aus Fernsehserien, aber da werden sie immer sehr eindrucksvoll dargestellt, mit gedämpften Schreien und viel Pressen, aber – anders als auf der Toilette – ist immer jemand dabei, der der gutaussehenden werdenden Mutter vorsichtig den Schweiß von ihrem perfekten MakeUp tupft. So schlimm kann es dann auch nicht sein, denn gleich nach der Geburt sieht die Mutter wundervoll und erleichtert aus, mit diesem Gewissen Leuchten im Gesicht, das man nur mit perfekt gesetztem Rouge und Puder mit Glanzpartikeln erreichen kann.
Jockel und Violetta ist das alles wurscht. Sie pesen durchs Haus und durch den Garten, packen sämtliche Spielsachen aus den Kisten und zerpflücken die Stofftiere.
Ich renne den ganzen Tag herum und packe sie wieder ein, damit es hier nicht rund um die Uhr aussieht wie in einem Kindergarten. Violetta betrachtet mich schief, wenn ich das mache, und holt anschließend alles Spielsachen umgehend wieder aus der Kiste. So ist das eben in Beziehungen: Jeder muss Kompromisse machen. Ich finde sicherlich noch heraus, an welchen Stellen die Kompromisse der Hunde liegen. Sie geben mir jedenfalls ständig das Gefühl, dass sie ständig die Handbremse anziehen müssen, um mich glücklich zu machen. Hunde haben ein großes Talent darin, Schuldgefühle entstehen zu lassen.
Violetta ist in Nano verliebt, was sich darin äußert, dass sie ununterbrochen an ihm hochspringt und versucht, in sein Maul hineinzukriechen, so toll findet sie ihn. Nano findet das lästig. Er ist an einem anderen Punkt in seinem Leben. Er macht mittlerweile auf Robert Mitchum („the strong, silent type“) und gibt sich Mühe, wahnsinnig cool zu wirken. Es hilft. Jeder buhlt um ihn, jeder möchte ihn streicheln, alle bewundern ihn und halten ihn für den schönsten Hund der Welt. Das weiß er, und entscheidet sehr punktuell, wem er seine Gunst zuteilt. Er bemüht sich nicht: Man bemüht sich um ihn. „Nano öffnet der Sehnsucht die Türen“, meinte ein Dichterfreund neulich. Nano wäre es bestimmt lieber, er könnte die Kühlschranktüren öffnen. Andererseits denke ich, er findet es super, dass er endlich beliebt ist – anders als in seinem früheren Leben. Unser aller Kindheitstraum(a).
Jockel ist jetzt knapp ein Jahr alt und hält sich für den Big Boss. Er markiert, was das Zeug hält. Im Garten wird jeder einzelne Busch und jeder Strauch angepieselt. Fritz, Pixel, Harry und Nano folgen auf dem Fuße und pieseln jeweils darüber, und wenn sie alle wieder an der Terrasse angekommen sind, geht das Ganze von vorne los.
„Wie kann man so viel aufs Klo müssen?“ fragte ich Fritz. Er gab mir einen abschätzigen Blick, der sagte: „Aufs Klo müssen ist hier nicht das Thema. Hier geht es um Grundbesitz.“
Harry versucht, Jockels Big Boss-Attitüde in die Schranken zu weisen. Früher war er ein Angsthund, eine zitternde, blau-weiße Mischung aus Vogel und Pereskop, aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt ist er eine Mischung aus Heidi Klum und Mussolini, herrisch und egozentrisch, dessen Taillenumfang frühere, straffere Zeiten erahnen läßt. Harry hat ein völlig übertriebenes Selbstwertgefühl. Er möchte der Mittelpunkt des Universums sein, und wenn das aufgrund von Hundebesuch nicht klappt, dann hat er seine Tricks: Er legt sich aufs Sofa, und wenn alle schlafen, beginnt er, leise und alarmierend zu wuffen. Er weiß, dass ich sein ohrenbetäubendes „Kikerikiii“ nicht erlaube, also schickt er die anderen mit diesem kleinen Semi-Bellen vor, die dann auch pflichtbewusst in den Garten rennen und zur Freude eines Nachbarn vermeintliche Feinde in die Flucht schlagen wollen.
Und so geht der Tag dahin. Mittlerweile sind die Baby-Zwillinge, die zu Jockel und Violetta gehören, auch hier. Es erschien dem Au-Pair irgendwie logisch, sie alle zusammen zu bringen, dann wollte sie etwas holen, und ist nun auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Meine Hunde geben sich alle Mühe, auch die knapp einjährigen kleinen Mädchen zu bespaßen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ihr Pyjama unter den Sommerkleidchen.
Vorhin rief der Vater des noch immer ungeborenen Babys an um sich zu erkundigen, wie es seinen Hunden gehe. Ich versicherte ihm, alles sei wunderbar.
„Ich denke mal, unser Sohn wird auch einen eigenen Hund brauchen“, sagte er nachdenklich.
Harry sah mich alarmiert an.
„Lieber ein Pony“, erwiderte ich. „Lieber ein Pony.“