Manche Tage würde man gerne wieder zurückspulen. Nochmal von vorne, zu dem Moment, an dem man die Augen aufschlug, und von dort an alles anders machen. Denn wenn der heutige Tag so weiter geht, sollte ich lieber sofort wieder ins Bett gehen.
Seit Samstag sind hier 40 cm Schnee gefallen, es herrschen ziemlich gemeine -5 Grad.
Im Wald ist große Unruhe; das Wild, das sowieso entsprechend des bevorstehenden Frühlings nervös ist, wird seit einer Woche durch massive Baumfällarbeiten herumgescheucht. Weil es hier unglaublich viel Wild gibt, begegnet man momentan hinter praktisch jedem Busch einem Reh. Luise und Harry, der sich in der Rolle eines 5-Kilo-Mörders gefällt, tragen daher seit zehn Tagen prophylaktisch Schleppleinen: Luise eine drei Meter-Leine aus Fettleder, Harry ein 10-Meter-Modell aus dünnem Nylon. Wir liefen über das riesige Feld direkt hinter unserem Gelände, die Hunde tobten durch den Schnee, und Harry nutzte das Tempo des Moments und raste auf den Teich zu, auf dem eine Gruppe Wildgänse die Wetterlage besprach. Leider stoppte er nicht am Ufer, offenbar hielt er sich für eine Mischung aus Flughund und Jesus, schoß aufs dünne Eis und brach ein. Ich zog ihn wie eine Lebend-Boje an der Schleppleine zu mir und aus dem Wasser und musste ihm erst einmal sein Thermo-Unterhemd und seinen Mantel ausziehen. Fritz trug mehrere Lagen aus Fleece und Neopren, also zog ich seinen Mantel über Harry, der damit aussah wie ein dünnes Kind in einem viel zu großen Zorro-Schlafanzug, und mit dem klatschnassen Mantel in der Hand setzten wir unseren Spaziergang fort. Fritz war jetzt allerdings ganz offenbar zu kalt nur im Pullover, ohne Mantel, also raste er in einem solchen Tempo los Richtung Heimat, dass er vor lauter Wind um die Ohren offenbar nichts mehr hörte – erst auf den Pfeifenton drehte er wieder um.
Im Wald rannten plötzlich zwei Rehe vor uns her – und zwar wirklich: vor uns her, sie überquerten nicht, wie sich das für anständige Rehe gehört, einfach den Weg, um wieder im Unterholz zu verschwinden. Die Hunde waren außer sich, sogar Gretel, die Rehe ansonsten für eine Art unscheinbarer Ponys hält, fand auf einmal, dass sie mal genauer gucken müßte. Ich pfiff und donnerte herum, legte alle Hunde ins Platz, und setzte schließlich meinen Weg fort. Luise als echter Stöberhund hatte nun die Nase permanent am Boden und erinnerte sich nur per ständiger Ermahnung daran, dass wir hier als Gruppe unterwegs waren, Harry war sowieso völlig außer Rand und Band. Und da kamen die nächsten beiden Rehe. Zehn Meter vor uns hüpften sie leichtfüßig über den Weg. Fritz vergaß seine Kinderstube und rannte hinterher, während Luise ihm anfeuernd hinterher quietschte; auf den dritten Pfiff hin drehte Fritz glücklicherweise um und kam zurück. Also kam auch er an die Leine.
Als die nächsten drei Rehe in dreißig Meter Entfernung den Weg kreuzten, hatte auch Gretel endlich das Gefühl, diese aufgeregten Viecher müsse sie sich einmal genauer anschauen, und schoß hinterher. Die anderen drei hingen an den Leinen wie Kinderdrachen im Sturm. Gretel kam nach einer Minute etwas ratlos zurück und musste nun auch an die Leine.
Ich begegnete einem joggenden Nachbarn, der mich prüfend anschaute: Ich hatte Harrys bretthart gefrorenen Mantel unter den Arm geklemmt und Luises Schleppleine um meine Hand gewickelt, trotzdem verhedderte sie sich permanent in Harrys zehn Meter Leine, die ich mir wie ein Lasso um Arme und Hüfte geschlungen hatte, Fritz versuchte, aufgeregt im Zickzack vor mir her zu laufen, was nicht ging, weil seine Leine nicht lang genug war und ich ihn ununterbrochen ermahnte, Gretel ging manierlich an meiner Seite, bekam aber ständig die Schnüre von Luise und Harry um die Pfoten.
Ich muss ausgesehen haben wie von der Augsburger Puppenkiste.
Momentan sind alle meine Hunde zur Adoption frei. Ich würde auch tauschen gegen ein Aquarium.
Harrys gefrorenen Mantel gibt’s als Dreingabe dazu