Vor fünf Wochen zog hier ein Kroate ein, ein bildschöner sable Collie, der in Zagreb auf der Straße aufgegriffen wurde, völlig verfilzt, sehr dünn und sehr erleichtert, als man ihn einsammelte.
Er wurde von einer wunderbaren Organisation aufgefangen, Udruga S-PAS in Zagreb, die ihn erst einmal zu einem Groomer brachten, um sein Fell zu entfilzen und einen erkennbaren Collie aus ihm zu machen. Gloria Malin behielt ihn in ihrer Gruppe, um ihn besser kennen zu lernen und ihn auf ein Leben in der
zivilisierten Welt vorzubereiten, und schwärmte durchweg von ihm.
Und so kam er dann zu uns.
Arthur – jetzt Henry – kam ins Haus und benahm sich, als hätte er schon immer bei uns gewohnt. Er war höflich zu den anderen Hunden, er betrat keinen Raum, ohne vorher zu fragen, und gewann so umgehend Nanos Sympathie, der nämlich Neulingen gewöhnlich nichts erlaubt ausser „Sitz“ und ab und zu möglichst geräuschlos zu atmen. Für Henry war das kein Problem. Er war offensichtlich aus seinem früheren Leben gewohnt, sich im Zweifel unsichtbar zu machen und neue Situationen schnell zu erfassen.
Und trotzdem habe ich noch nie einen Hund erlebt, der so entschlossen war, absolut dazu zu gehören.
Ein Collie hatte uns gerade noch gefehlt
Mal abgesehen davon, dass sie ebenfalls Hunde sind, sind Collies völlig anders als Windhunde. Keine besondere Überraschung vielleicht, aber irgendwie doch. Immerhin sind ihre Nasen auch sehr lang. Aber sie haben unendlich viel mehr Fell – was sehr angenehm ist, weil ihnen dementsprechend eigentlich immer ein bisschen zu warm ist und sie nicht aufs Sofa oder ins Bett wollen -, und ihr Hirn funktioniert völlig anders.
Sie finden den Menschen grundsätzlich sehr interessant. Sie nehmen auch prinzipiell erst einmal nichts übel. Sie sind sensibel, aber nehmen nicht alles persönlich (wenn ihnen ein Kind auf die Rute tritt, gehen sie zur Seite. Wenn ein Kind einem Windhund auf die Rute tritt, ist der Windhund völlig entsetzt und kommt sofort zu Mama, um erstens getröstet zu werden und zweitens versichert zu bekommen, dass die Rute noch dran ist und das Kind es nicht so gemeint hat, ehrlich). Sie bellen durchaus auch mal um des Bellens Willen (wie meine Freundin Denise Nardelli sagte, „Collies sind so: Ich bin, also belle ich.“), und man kommt plötzlich auf die Idee, mit ihnen „Sitz, Platz, Rolle“ zu üben – was ein Windhund eher nicht tun würde. Oder „Sitz!“ auf Entfernung. Oder albernen Quatsch klickern (wobei Rapunzel Kunststücke liebt. Es ist nur nicht so leicht, mit ihr z.B. Slalom durch die Beine zu üben, wenn man unter 1,95 m groß ist).
Henry ist allerdings anders. Er bellt praktisch nicht. Und es ist schwer für ihn, selbstständig Lösungen zu finden. Niemand hat ihm je derlei gezeigt. Er lebte praktisch alleine, seine Besitzer hatten einen weiteren Collie, der an der Kette lebte, und Arthur bzw. Henry lief immer alleine herum. Nachts durfte er im Schuppen schlafen. Aber natürlich machte sich niemand die Mühe, irgendwelche Denkspiele mit ihm zu spielen. Als ich vor einer Woche unsere pädagogisch-wertvollen Holzspielsachen von Nina Ottensen auspackte, machten meine Hunde das sozusagen mit halbgeschlossenen Augen gelangweilt nebenbei, während Henry eine halbe Stunde lang da saß und das Spielzeug einfach nur anstarrte. Er guckte und guckte in der Hoffnung, die kleinen Deckel und Schubladen würden sich durch Zauberhand von alleine öffnen.
Taten sie natürlich nicht.
Will sagen: Henry ist nicht Lassie. Sollte ich in nächster Zeit in Treibsand geraten, wird Henry wohl nicht derjenige sein, der mich rettet (anders als die ursprüngliche Lassie, die mit einer Familie aus kompletten Idioten zusammenleben musste, so oft, wie sie sich in Mooren, Treibsand und anderen leicht vermeidbaren schwierigen Bodenverhältnissen wiederfanden und ständig gerettet werden mussten).
Dafür jault Henry glücklicherweise auch nicht so viel herum wie Lassie. Erinnern Sie sich? Lassie fiepte und jammerte und jaulte andauernd, aber auch das muss man wahrscheinlich diesen Trotteln zuschreiben, bei denen sie lebte, weil die von normaler Hundesprache offenbar überhaupt nichts verstanden. Man fragt sich wirklich, wie die ohne ihren Hund auch nur einen einzigen Tag überstanden hätten. Lassie machte wahrscheinlich auch die Einkommenssteuer für sie.
Henry macht das bisher leider nicht. Aber ich bin voller Zuversicht – irgendeiner muss das in diesem Haushalt ja schließlich erledigen. Er gibt sich unglaubliche Mühe, alle Regeln zu beachten -auch wenn er dabei manches durcheinander bringt, z.B. meine Regeln und die Regeln, die sich die anderen Hunde ausdenken. Barthl redete ihm gleich zu Anfang ein, dass der gesamte Umkreis von 15 km unser Gelände sei, eine hübsche
Fortsetzung unseres Gartens sozusagen. Dabei war meine Grundidee eigentlich, den Windhunden einen Hütehund vor die Nase zu setzen, der sie jedes Mal, wenn sich ihr Blick am Horizont festzurrt daran erinnert, dass wir als Gruppe unterwegs sind und keine Einzelreise gebucht haben.
Das Tolle ist (und manchmal natürlich auch das Mühsame, Gräßliche, Fürchterliche), dass jeder einzelne Hund wieder eine andere Art des Trainings braucht. Henry ist völlig überwältigt von der großen Gruppe, in der jeder eine andere dumme Idee hat, wie man einen Spaziergang aufpeppen kann. Weil er bisher nie gelernt hat, mit einem Menschen zusammen spazieren zu gehen, sich an Regeln zu halten oder darauf zu achten, was der Mensch macht, achtet er zu selten darauf, in welche Richtung ich gehe, und findet
es auch nicht besonders problematisch, wenn er mich aus den Augen verliert (was bei manchen Hunden ja durchaus wirkt), denn er weiß ja, wo wir wohnen.
Also arbeite ich jetzt ganz stumpf mit Konditionierung. Schleppleine, Marker-Wort nur für ihn, und sobald er acht, neun Meter von mir entfernt ist, rufe ich das Marker-Wort und werfe ihm Kekse entgegen, sobald er mich ansieht. Bei Hunden, die keine ausgemachten Jäger sind, funktioniert derlei gewöhnlich sehr gut – ein Galgo würde einem nach dem dritten Mal einen Vogel zeigen und nicht mehr mitmachen, aber Hütehunde finden zahllose Wiederholungen nicht schlimm.
Im Privatleben ist Henry außerordentlich beliebt. Nano findet ihn großartig und spielt sehr entspannt mit ihm, Jack hat endlich einen Partner, der Bälle so liebt, wie er, und muss sich neuerdings anstrengen, den Ball wirklich zu erwischen. Aber die wirklich große Liebe ist zwischen Henry und Rapunzel ausgebrochen.
Sie spielen und spielen, singen sich dabei ins Ohr und finden einander großartig. Bei Fangen spielen ist er schnell, höflich und nicht so grob wie beispielsweise Aslan, was Rapunzel sehr gefällt.
Rapunzel ist ein richtiges Mädchen: Sehr, sehr hübsch, ein bisschen zimperlich, ein bisschen zickig, sehr witzig, sehr charmant und unglaublich willensstark. Kein Wunder, dass Jungs ihr zu Füßen liegen.
Morgen erzähle ich noch ein bisschen mehr.
Henry ist nämlich nicht der einzige Collie im Haus.
Ha.