… da war’n se alle weg

Heute früh ist Tobi in sein neues Zuhause gezogen – nicht weit von hier, nach Brannenburg, zu einer kleinen Familie aus Vater, Mutter, Kind mit Bratsche und einem kleinen, übersichtlichen Garten. Das ist insofern sehr gut, weil Tobi sehr verliebt ist in seine eigene Stimme, sich dabei aber in keinster Weise für den Knabenchor eignet – er hat eine Stimme wie ein Hafenköter: Laut, schrill, nicht zu überhören. Wenn er also hier in der anderen Ecke des Gartens ist und den Nachbarn ankreischt, oder den Nachbarschäferhund, oder die Wolken, dann brauche ich je nach Fußbekleidung eine Weile, bis ich von der Haustür bei dem Schreihals angekommen bin, um ihm aus nächster Nähe mitteilen zu können, er möge bitte die Klappe halten (und ihn dann sofort zu loben, wenn er es auch tut. Leider neigt man ja dazu, diesen wichtigen Punkt zu vergessen, weshalb der Hund so nie lernt, was man eigentlich von ihm will).

Werbeanzeige

Als Tobi seine neue Familie kürzlich kennen lernte, nahm er sofort Sofa und Tochter in Beschlag und fand die Behausung gut.Das wird ihm helfen, wenn er dort alleine ankommt: Er wird es wieder erkennen und sich dadurch sicherer fühlen. Deshalb mache ich die Vorkontrollen möglichst selbst und mit dem betreffenden Hund, wenn sie einigermaßen in der Nähe sind.

Es gibt immer wieder diese Hunde, die einen besonderen Abdruck im Herzen hinterlassen – Tobi ist so einer. Er war so arm, so ängstlich, seine Haut war so schuppig und juckte fürchterlich, als er ankam. Heute bei seinem Auszug war er ein offener, fröhlicher, frecher Junghund mit blau-schwarz glänzendem Fell.

 

Tobis Haut & Haar am Tage seiner Ankunft

Tobis Haut & Haar heute früh, nach zwei Monaten gutem Futter

Tobi und Barthl waren beispielsweise ein echtes Geschwister-Fürchterlich-Team, die jeden Tag irgendwie aus dem Zaun ausbrachen, die Nachbarn besuchten und dann strahlend zurück kamen. Er fraß mit Begeisterung Bücher – Robert Musils „Drei Frauen“, Gedichte von E.E. Cummings oder „Natashas Nase“ von Elena Lappin. Er marschierte mit mir ohne mit der Wimper zu zucken auf den Hof der Nachbarn mit Bullen, Traktoren und Schäferhunden und wäre wahrscheinlich bis zum Ende der Welt mit mir gegangen, wenn ich es zugelassen hätte. Er stahl nichts vom Tisch, er war höflich und nicht aufdringlich, verschmust und extrem schlau. Ich kann trotzdem nicht alle Hunde behalten, die ich wunderbar finde – ab einer gewissen Anzahl wird es für die vorhandenen Hunde Stress, wenn mehr Hunde dazu kommen. Und auch ich habe nur zwei Hände und manchmal sogar gar keine Lust, dauernd irgend einen zu streicheln.

Gestern Abend kuschelte er sich – wie jeden Abend – an mich auf dem Sofa beim Lesen. Ein echter Klettverschlusshund. Er durfte immer im Wohnzimmer schlafen (was sonst höchstens Nanos Privileg ist) und freute sich mit allen anderen morgens wie verrückt, wenn ich aus dem Schlafzimmer taumelte.

Trotz Giardien, Pieselarien, Demodex und schlecht riechender Haut, Furchtsamkeit, endloser Hundebäder, Leinen- und Rückruftrainings, schleppender Spaziergänge und einem Gartenzaun, der mittlerweile an ein Jugendgefängnis erinnert, mache ich es immer wieder gerne. Alle die Zitteraale und Angsthasen, die ich aufgenommen habe, sind gesund, fröhlich, stark und selbstbewusst in ihr neues Zuhause gezogen. Jeder von ihnen hat ein kleines Stück meines Herzens mitgenommen.  Gut, dass es so groß ist.

Meine eigenen Hunde sind heute sehr schläfrig. Denn natürlich bringen alle fremden Hunde hier eine neue, eine andere, manchmal nicht so gute Energie hinein, mit der sich alle anderen erst einmal auseinander setzen müssen. Nicht alle Hunde mögen das. Pixel hatte sich in den vergangenen Wochen sehr zurückgezogen und bekam deshalb viel Extra-Mami-Zeit, durfte mich auf einsame Gänge begleiten und einsame Spaziergänge mit mir machen. Denn wenn er nicht will, kann man ihn nicht überreden, sich in die andere Ecke des Sofas zu setzen: Er zieht sich zurück, und damit basta. Hündinnen sind für die vorhandenen Rüden und Gretel immer einfacher – nur wusste ich, dass Rapunzel läufig werden würde. So, wie manche Frauen bei PMS entsetzliche Geschmacksverirrungen erleiden und sich eigentlich nicht alleine anziehen sollten, leidet Rapunzel unter pre-menstrueller Zickigkeit. Wäre sie ein Mensch, würde man sich in dieser Zeit vor ihrer bösen Zunge in Acht nehmen und aushalten müssen, dass sie sich in eine Symphonie aus Lila- und Senftönen kleidet. Weil sie ein Hund ist, ist sie vor allem biestig. Wenn alles vorbei ist, ist sie wieder sanft und engelsgleich.

Jetzt ist hier erst einmal eine Weile Schluss mit fremden Hunden, bis meine Hunde sich wieder eingegroovt haben. Außerdem habe ich ja auch noch Anderes zu tun, auch wenn man es kaum glauben will.

Anfangs, höre ich, weinte Tobi ein bisschen auf der Autofahrt in sein neues Zuhause. Immerhin.

 

 

 

Teilen Sie diesen Beitrag!

10 Kommentare

    • Liebe Kathrin, nanu? Da hat aber einer nicht aufgepasst! Fritz lebt seit drei Jahren bei Nicole Munninger, er ist selbstständig hier ausgezogen, in dem er sich bei ihrer Abfahrt nach einem Besuch in ihr Auto gesetzt und nicht mehr ausgestiegen ist. Er kommt immer wieder zu besuch, scheint seine Wahl aber kein bisschen zu bereuen. Ich bin auch ein bisschen beleidigt.

      • Gabriele Haas

        Haha, ich sehe ihn dann also öfter als sie.
        Ich hole unser Futter immer bei Frau Munninger ab.

  1. Können Sie uns mal einen Tipp geben, was man (langfristig) gegen Demodex machen kann?
    Ich habe die Ahnung, dass nach Wirkende der dritten Simparica das Ganze wieder von Vorne beginnt… :/

  2. Da habe ich scheinbar auch nicht aufgepasst… Wie kann man nach so vielen gemeinsamen Jahren, einen Schatz so einfach ziehen lassen !?
    Das ist für mich vollkommen unverständlich.
    Aber natürlich klingt es immer besser, wenn man neue Hunde „rettet“!
    Wie war das noch gleich mit der Überforderung, wenn man 10 Hunde hat !? Schade, ich war immer ein grosser Fan von dir, Katharina…

    • Liebe Nicole,
      das kann man, wenn man im Sinne des Hundes handeln möchte. Es gibt Hunde, die nicht geeignet sind zum Leben in einer großen Gruppe. Amali war auch so ein Hund – kaum war sie erwachsen, stresste die Gruppe sie zunehmend, was sich äußerte, indem sie andauernd die Zähne zeigte, zickig war und sich zurück zog. Fritz fing an, jede Hausecke und jedes einzelne Möbelstück zu markieren, ständig zu bellen und unglaublich grob zu spielen, so dass ich andauernd eingreifen musste. Ein Hund, der sich in seiner Gruppe nicht wohlfühlt, sprengt die gesamte Harmonie – ich sehe sehr häufig Hundegruppen, in der ein „Störenfried“ ist, was von den Besitzern geflissentlich übersehen wird: Das bedeutet Disharmonie und Stress für die ganze Gruppe. Einen Hund in dieser Situation dennoch zu diesem Leben zu zwingen, halte ich für äusserst selbstsüchtig. Das hat nichts mit Überforderung tu tun – wenn die Gruppe sich mag, kann ich hier ohne Probleme wie in den vergangenen Wochen) fünfzehn Hunde haben, ohne dass die Hunde gestresst sind.
      Sowohl Amali, als auch Fritz und alle anderen Hunde, die ich je abgegeben habe, haben ihre Entscheidung selbst getroffen. Amali kannte die Freundin, zu der sie letztlich gezogen ist, schlief bei Besuchen immer in deren Bett und folgte ihr auf Schritt & Tritt (z.B. Nano käme nie auf diese Idee). Fritz ganz genau so. Beide Hunde sind hier ganz oft und über Wochen zu Besuch, was sie auch schön finden – aber nie auf die Idee kommen, sich hier wieder häuslich einzurichten.
      Zusammenleben mit Hunden bedeutet, auf die Hunde Rücksicht zu nehmen und nicht nur auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Natürlich ist es mir schwer gefallen, Fritz gehen zu lassen. Hätte ich ihn zwingen sollen, weiter in einer Konstellation zu leben, die ihm nicht gefiel? Hätte ich alle anderen Hunde abgeben sollen, um es ihm recht zu machen?
      ich sehe hier keinen Unterschied zu Beziehungen zwischen Menschen: Nicht immer passt es, und ein Erzwingen der Beziehung macht alle Beteiligten auf Dauer unglücklich: Sehen Sie sich doch mal um.
      Wenn es Ihnen gefällt, mich deswegen abzuurteilen und „nicht mehr zu mögen“, ist das Pech, ändert aber nichts an meinem täglichen Leben. Einen Hund in einer Gruppe zu haben, der mit der Situation nicht zurecht kommt, ändert das tägliche Leben massiv für alle anderen Hunde und einen selbst.
      Herzlich, Katharina v.d. Leyen

      • Katharina

        Gratulation! Genau so ist es!
        Man muss dazu aber « Hundeverstand » besitzen, den Hund und nicht sich selbst an erste Stelle setzen, will heissen: zum Wohle des Hundes ( d e r Hunde) handeln!

        Ja, ja allen Menschen recht getan, ist eine Kunst die niemand kann!

        Sie, liebe Katharina von der Leyen sind für mich eine grosse Ausnahmeerscheinung!

        Danke für Ihren unermüdlichen Einsatz für die Hunde (Tiere)!
        Und….dafür, dass Sie uns, durch Ihren Superblog an Ihrem Wissen teilhaben lassen!

        Liebe Grüsse
        Katharina

        • katze0611

          Dem kann ich mich nur anschließen! Damit ist restlos alles gesagt.

          Vielen lieben Dank!

          Herzliche Grüße
          nördlich von Berlin

      • Weib Yvonne

        Ganz tolles Statement! Danke!
        Ich erlebe ähnliche Dinge als Hundesittern mit meinen Tageshunden und schaue, wer mit wem gut kann, damit alle streßfrei und entspannt sein können.
        Manche Hundehalter sind beleidigt, wenn sich herausstellt, dass die Konstellation nicht passt und ich keine langfristige Betreuung anbieten möchte.
        Ihnen alles Gute, ich freu mich auf weitere tolle Beitrage. 🙂
        Fröhliches Winken aus Hannover,
        Yvonne
        mit 2 eigenen und derzeit 8 Tages-und 4 Gassihunden

  3. Ich finde es einfach super, dass du dich solcher besonderen „F(e)älle“ annimmst, sie resozialisierst und pflegst und an tolle Hundeeltern vermittelst.

    Wir haben unseren Hund ebenfalls von einer Pflegestelle und solchen Leuten sollte man einfach mal Danke sagen.

    Danke Katharina das du den Hunden eine Chance gibst.

    LG Farina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert