Darf’s noch einer mehr sein?

Mehrhundehaltung – Wie man den Überblick behält, auch wenn der Mensch in der Minderheit ist

Foto: Debra Bardowicks

Foto: Debra Bardowicks

Kein Zweifel: Menschen sind Rudeltiere. Anders lässt sich der Trend zur „Mehrhundehaltung“ nicht erklären. Wurde man vor Jahren mit zwei Hunden noch als „bisschen komisch“ beäugt und bekam mit gar mehr als zwei Hunden einen ausgewachsenen Vogel attestiert, gilt man heutzutage höchstens noch als wirklich passioniert

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Für die meisten Hunde ist es sehr schön, einen arteigenen Lebensgefährten zu haben, der selbst die subtilste Körpersprache und ohne viele Worte versteht, der jederzeit für größtmöglichen Unsinn und ein kleines Spielchen zu haben ist. Die Hunde sind gewöhnlich ausgelasteter zu zwei, wenn sie miteinander spielen und sich miteinander beschäftigen, und Sie wissen, dass sie wirklich genug innerartlichen Sozialkontakt haben: Egal, wie viele Flyball-, Agility-, Frisbee- oder Saltoseminare Sie besuchen: So toll wie ein anderer Hund können Sie einfach nicht spielen. Wer mehr als einen Hund hält, lernt ununterbrochen über Hundeverhalten dazu – ein bisschen wie „Ruf der Wildnis“ im eigenen Wohnzimmer, nur ohne sterbende Antilopen. Wenn Rudelhalter genau hinsehen, erfahren sie eine Menge über Gruppen-Dynamik, Besitzverhalten, Augenkontakt und Rangordnung.
Und wenn sie nicht genau hinsehen, können sie große Probleme bekommen.

Das Zusammenleben mit mehreren Hunden stellt den Menschen vor ungeahnte Herausforderungen, was Erziehungsgeschick und Hundeverstand betrifft. Wer dachte, seinen Hund wirklich gut zu kennen und gut im Griff zu haben, muss manchmal neu denken: Hunde bringen an einander nicht nur das Beste, sondern auch das Schlimmste hervor: So manch einer ahnte nicht, dass er einen passionierten Jäger hatte – bis ihm der „Neue“ mal zeigte, wie das geht. So mancher Hund dachte nie im Traum daran zu stehlen – bis durch den neuen Hund Konkurrenzdenken auftrat. Und in manchem Hund schlummerte die Neigung zum Mobben ungeahnt ganz tief – es macht ja auch erst so richtig Spaß, wenn wenigstens einer mitmacht.

Mal abgesehen von den vielen wunderbaren Momenten, die einem mehrere Hunde bescheren (ich muss es wissen: Ich habe vier Hunde und finde das sehr schön – obwohl ich mich auch manchmal frage, ob ein Aquarium nicht eigentlich eine prima Alternative wäre), und abgesehen von den erzieherischen Herausforderungen, auf die ich noch eingehen werde, gibt es allerdings auch so einige ganz praktische Schwierigkeiten, die man sich vorher bewusst machen muss.

Mit mehreren Hunden braucht man wirklich gute Nerven, in mehr als einer Hinsicht. Hunde sind Zeitvernichter. Wenn Sie denken, es spiele keine Rolle, ob man mit einem oder zwei (oder drei oder vier) Hunden spazieren geht, denken Sie noch mal um: Man muss immer wieder mit einem einzelnen Hund einzeln spazieren gehen und einzeln Erziehung oder Sport oder Frisbeespezialkurse machen – es geht einfach nicht anders. Während Sie mit einem Hund arbeiten, hat der andere Zeit, auf ganz neue Ideen zu kommen, Sie oder den anderen Hund abzulenken – fragen Sie Mütter mit mehreren Kindern.
Nimmt man einen Hund mal eben mit ins Café oder ins Restaurant, überlegt man sich das mit zwei Hunden zweimal (das mag auch auf die Größe der Hunde ankommen), bei mehr als zweien geht es aus Rücksicht auf andere Gäste eigentlich grundsätzlich kaum.
Viele Leute sind auch nur bedingt begeistert, wenn man sie mit vier Hunden besucht, und in einer ständig gestreßteren Umwelt ist man mit mehreren Hunden unglaublich angreifbar für allen Ärger über Hunde, den andere Leute schon längst mal loswerden wollten, und viele Leute fürchten sich auch, wenn man mit mehr als einem Hund die Straße entlang kommt. Man braucht ein dickes Fell; das muss man vorher wissen.
Hunde sind Geldvernichter, machen wir uns nichts vor. Mehr Hunde verursachen mehr Kosten – höhere Futter- und Tierarztkosten, höhere Hundesitter-Kosten, sie kosten ein mehrfaches in der Hundepension (auch wenn man häufig über einen „Geschwister-Rabatt“ verhandeln kann und es die beiden zu zweit natürlich netter haben in fremden Händen). Vor allem kosten sie in vielen Städten deutlich mehr Steuern: In Berlin oder Stuttgart z.B. kosten ein zweiter oder dritter Hund nach Art einer Staffelmiete je fast das Doppelte gegenüber dem Ersthund – als eine Art Sanktion der Gemeinden, die ihren Bürgern die Hundehaltung möglichst erschweren möchten.

Und dann kann einem auch noch passieren, dass der eigene, erste Hund das Einzelkinddasein ganz wunderbar findet und sein Leben unter keinen Umständen mit einem anderen teilen will. Dann müssen Sie prüfen, ob Ihr erster Hund passiv genug ist, um den dahergelaufenen Neuen einfach zu ignorieren und als Ihr persönliches Hobby zu betrachten, oder ob er sich rund um die Uhr ärgert: Dauerstreß hält keiner aus. Ihr Hund nicht, Sie nicht, und der Neue auch nicht.

Bevor man einen zweiten Hund anschafft, beobachten Sie den ersten: Wie offen und verträglich ist er grundsätzlich anderen Hunden gegenüber, interessiert er sich überhaupt für sie? Regelt er Konflikte ohne unangemessene Aggressionsausbrüche? Wie verhält er sich, wenn Hunde zu Besuch kommen? Viele Hunde sind tatsächlich von Gruppenmechanismen überfordert – andererseits ist der Mensch ja da, um regulierend eingreifen und das Leben für alle Beteiligten so reibungsfrei wie möglich zu gestalten (denn sie dürfen es nicht „schon untereinander ausmachen“).
Das kann der Mensch nur, in dem er die Rangordnung der Hunde untereinander respektiert und nicht versehentlich ignoriert, was in den meisten Fällen zu Problemen führt. Nur, weil der erste Hund zuerst da war, heißt das nicht, dass er im Hunderudel das Sagen hat. Können Sie es aushalten, wenn Ihr Ersthund in ein paar Monaten vom Neuen vielleicht auf den unteren Platz verwiesen wird? Das müssen Sie nämlich: Für ein friedliches Zusammenleben ist es schlicht notwendig, eine stabile Rangordnung zu schaffen. Wenn Sie den Rangniedrigen bevorzugen (weil er älter ist, vielleicht gebrechlicher, weil er „zuerst da war“), kreieren Sie Probleme, weil der Ranghöhere oder „Kopfhund“ den anderen dauernd wieder einordnen muss – per Schnauzenbiß, Geramme, Mobbing oder ähnlichem. Wichtig ist, dass Sie Ihre Hunde immer wieder gut beobachten: Rangordnungen sind eine flexible Angelegenheit. Es bedeutet nicht, dass der Ranghöhere den Rangniedrigeren „unterdrückt“ , ständig alles an sich reißt oder derjenige ist, der als erster zur Tür hinaus geht. Der Anführer der Gruppe ist meistens auch nicht der, der am meisten Theater oder Getobe verursacht, sondern häufig der souveränere Hund – der aber eingreift, wenn es ihm wirklich wichtig scheint: Wenn fremde Hunde dazu kommen, wenn Gefahr droht, etc. Es sind Kleinigkeiten, auf die Sie achten müssen: Der ranghöhere Hund kann dem anderen gewöhnlich jederzeit durch einen Blick ein Spielzeug, ein Hundebett oder einen Knochen streitig machen, wenn er vorbei möchte, geht ihm der Rangniedrigere gewöhnlich aus dem Weg. Der Ranghöhere wird zuerst gefüttert, zuerst begrüßt; mit ihm wird zuerst gespielt; er wird generell ein bisschen bevorzugt. Das ist schwer, wenn der Neue Hund ein niedlicher, bedürftiger Welpe ist, aber wichtig: Sie wissen doch, wie das unter Menschengeschwistern ist, oder?

Was man in den begrenzten Platzverhältnissen auf wenigen Seiten ansprechen kann, können nur pauschale Vorschläge sein. Eine goldene Regel ist dabei, mit einem weiteren Hund zu warten, bis der vorhandene Hund „aus dem Gröbsten `raus“ und erwachsen ist – also mindestens ein Jahr (bei kleinen Rassen) oder zwei Jahre (bei großen, spät entwickelnden Rassen) alt ist – und die Erziehung zuverlässig sitzt. Auch wenn gerne behauptet wird, dass der Ältere dem Jüngeren so vieles beibringt, ist es meistens eher selten „Sitz!“ und „Komm!“, stattdessen aber aller möglicher Blödsinn. Haben Sie einen ängstlichen Hund, überträgt sich seine Anspannung höchstwahrscheinlich auf den Jüngeren, haben Sie einen Jäger, wird er zumindest versuchen, den Neuen mitzuziehen, wenn einer am Zaun bellt, wird der andere sicher nicht schweigend zusehen.

Achten Sie darauf, dass die Hunde zueinander passen – aber nicht „zu“ gut: Wenn sie zu viele Gemeinsamkeiten teilen, verstärkt das auch alle eventuellen „Unarten“. Es wäre ein Fehler, einem jagdlich passionierten Hund einen zweiten Jäger hinzuzugesellen, sofern Sie nicht gerade das brauchen: Gnade allen Hühnerställen. Ein Mops würde sich höchstens wundern, wenn seine Setterfreundin sich auf frischen Spuren davonmacht, sie aber nicht dabei unterstützen – und die Setterin kommt schneller wieder, weil ihr keiner beim Jagen hilft.
Einem notorischen Kläffer einen Typ zuzugesellen, der seinerseits „sprechfreudig“ ist, wird wahrscheinlich auch das beste nachbarschaftliche Verhältnis stark strapazieren. Sie wissen selbst am besten, was die „Schwächen“ Ihres Hundes sind – suchen Sie den anderen Hund entsprechend aus. Achten Sie gleichzeitig darauf, dass die beiden in physischen Bedürfnissen nicht zu unterschiedlich sind – einen extrem lauffreudigen Dalmatiner mit einer eher phlegmatischen Englischen Bulldogge zu kombinieren, wird dazu führen, dass sie entweder den Dalmatiner vernachlässigen, die Bulldogge überfordern, oder einzeln spazieren gehen müssen. Mit einem Border Collie werden Sie Agility oder ein ähnliches Beschäftigungsprogramm machen müssen – ein Greyhound würde beim Agility vielleicht ein bisschen mitmachen, beim Treibball aber lieber zufrieden vom Rand aus zusehen. Einen Podenco mit einem Chihuahua zu halten, kann eine gute Idee sein – der Chihuahua wird aufgrund fehlender Übersicht eher nicht hinter Rehen und Hasen herjagen, kann sich aber (ausgewachsen) wunderbar mit dem Podenco amüsieren. Bei der Kombination kleiner Hund- großer Hund muss man allerdings darauf achten, dass der Kleine nicht komplett „plattgespielt“ wird: Ein großer Junghund spielt für einen Kleinhund einfach zu stürmisch und kann ein Spielverhalten noch gar nicht richtig dosieren.

Wie die Geschlechterverteilung aussehen soll, lässt sich nicht in Stein meißeln und hängt meistens von den jeweiligen Rassen ab. Einem sehr testosterongesteueren Rüden eine Hündin an die Seite zu setzen, ist einerseits eine gute Idee, weil er sie lieben und auf Händen tragen wird – andererseits kann es sein, dass er jeden anderen Rüden in die Flucht schlagen will, um seine Ehefrau zu verteidigen. Gleichgeschlechtliche Paare sind gewöhnlich kein Problem, sofern man einem sehr selbstbewußten Hund einen eher unterwürfigen zur Seite stellt, oder wenn beide kastriert sind – das sind gewöhnlich Voraussetzungen, um beste Freunde zu werden. Manchmal hört man, dass Hündinnen – kastriert oder unkastriert – eher dazu neigen, erbittert auf einander loszugehen. Ich habe das in meiner 25jährigen Erfahrung mit eigenen und fremden Hündinnen, die in unserem Haushalt lebten, bisher nicht erlebt, trotz völlig unterschiedlicher Rassen, Größen und Temperamente.
Ob Sie einen Welpen oder einen erwachsenen Hund dazunehmen, macht meist keinen besonderen Unterschied – außer, dass sich ein erwachsener Hund, der zumindest die Grundregeln des zivilisierten Zusammenlebens kennen gelernt hat, häufig reibungsloser in Ihr Leben einfügt, als ein unbescholtener Welpe, der ungleich mehr beaufsichtigt und berücksichtigt werden muss.
Bei einem erwachsenen Hund sollten Sie bei ein paar Besuchen vorher testen, ob die Hunde einander sympathisch sind. Gehen Sie mit beiden an der Leine spazieren und lassen Sie sie beiläufig Kontakt aufnehmen. Wenn Sie den anderen Hund – egal, ob Welpe oder erwachsen – mit nach Hause nehmen, räumen Sie vorher alle Spielsachen, Kauknochen und Futternäpfe weg. Bleiben Sie locker, setzen Sie sich vor allem nicht selbst unter Druck – wenn dieser Hund es nicht ist, gibt es da draußen noch ungefähr 350 000 weitere, die ein Zuhause suchen: Einer wird passen.
Und wenn es dann passt, gibt es eigentlich nichts Wundervolleres, als ein funktionierendes Rudel. Es ist, keine Frage, viel Arbeit und bedarf sehr guter Organisation. Man braucht einen starken Willen, starke Nerven – und wahrscheinlich doch einen Vogel. Ich jedenfalls kann mir keinen Tag ohne die weiche Schnauze eines Hundes auf meinem Bein vorstellen, das Geräusch, das Schlappohren beim Schütteln machen, das Hurra in den Gesichtern meiner Hunde jeden Morgen, wenn wir uns auf den Weg nach drauß en machen, und sie es kaum fassen dürfen, dass sie wie immer mitkommen dürfen – und das Ganze hoch drei.

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5 Kommentare

  1. Wieder ein toller Bericht. Hoffentlich lesen viele Hundebesitzer, die mit dem Gedanken spielen einen zweiten Hund aufzunehmen, diesen Bericht.
    Ich hab schon drei und es ist einfach toll. Habe mir aber vorher auch viele Gedanken gemacht.

  2. Melanie Ruoss

    Ein toller Artikel. Gehe seit einiger Zeit mit dem Gedanken schwanger, einen dritten Hund zu haben. Es geht mir dabei wie Alexandra ob, ich mache mir sehr viele Gedanken dazu und überlege, wie sich mein Alltag, die Freizeit und Ferienzeit dadurch verändern würde.

    Es will wohl überlegt sein…. schliesslich geht es um die Lebenszeit eines Hundes und die will ich dem Tier nicht vergeuden, sondern vergolden! Es soll ein unvergessliches und tolles Leben bei mir werden, darum sei alles gut abgewägt.

    Und dann eines Tages wird der richtige Hund einfach da sein und ich werde keine Sekunde zögern, mein Rudel zu vergrössern… 🙂

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