Das Wort Dominanz ist wahrscheinlich das am häufigsten missbrauchte Wort in der Hundeerziehung: Sobald ein Hund nicht tut, was er soll, wird er als “dominant“ bezeichnet. Meistens ist er dabei nur schlecht erzogen.
Natürlich gibt es dominante Hunde, so, wie es auch dominante Menschen gibt (ich persönlich würde mich als durchaus dominante Persönlichkeit bezeichnen), aber die sind viel, viel seltener, als gemeinhin angenommen wird. Eine wirklich dominante Persönlichkeit hat nicht das geringste Problem damit, die Führung zu übernehmen und mit einer gewissen Autorität Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet aber keineswegs, dass dieser Hund sich nicht führen lässt oder aggressiv ist. Sehr viele dominante Hunde versuchen keineswegs, die Führung“ zu übernehmen und wären sehr zufrieden, wenn ihr Besitzer diese Aufgabe übernehmen würde.
Der Mensch tut es nur häufig nicht. In diesem Fall übernimmt der dominante Hund oder „Kopfhund“, wie Jäger das nennen.
Mein Pudel Luise ist ein absoluter Kopfhund, will heißen: Sie ist eine dominante Persönlichkeit. Sie lässt sich aber von mir ohne Weiteres führen und ordnet sich gut unter. Sie ist souverän, wohlerzogen und bellt so gut wie nie – das erledigen ihre Underdogs für sie. Luise lässt bellen.
Dominanz ist auch nicht synonym mit Aggression. Meistens sind stattdessen gerade die Hunde aggressiv, die eben kein Anführer sind, diesen Posten aber gerne übernehmen würden – soziale Emporkömmlinge, sozusagen. Es gibt Rassen, die als dominante“ Rassen gelten, beispielsweise Rottweiler oder Bulldoggen, Pyrenäenberghunde oder Bullmastiffs: Geborene Führungspersönlichkeiten sozusagen.
Viele Leute verwechseln bei ihrem Hund Selbstbewusstsein oder Forschheit mit Dominanz. Viele selbstbewusste Hunde wollen keineswegs „Entscheidungen treffen“ oder „die Führung übernehmen“, sondern schlicht mehr Action. Sie wollen mehr erleben, langweilen sich schnell – wie z.B. Jack Russell Terrier, Weimaraner oder manche Border Collies, die JETZT SOFORT ihr Ziel erreichen wollen. Solange dieses Ziel ist, ihrem Besitzer zu gefallen, ist der Besitzer glücklich; wenn das Ziel das Jagen von Kaninchen oder Einkreisen fremder Schafe ist, ist der Besitzer meist weniger vergnügt. Diese Hunde sind häufig sehr sensibel, „Strafen“ als Erziehungsmaßnahmen helfen gar nichts, sondern sorgen nur dafür, dass der Hund nicht mehr vertraut, unsicher und ängstlich wird – und trotzdem das macht, was er machen will.
Auch unabhängige Hunde wie Salukis, Huskies oder viele Terrierarten sind meistens keineswegs „dominant“ – sie sind einfach ganz zufrieden damit, ihr eigenes Ding zu machen, ohne dass sich der Mensch einmischt. Ein unabhängiger Hund kann seinen Besitzer durchaus sehr lieben, er ist nur nicht so daran interessiert, seinem Besitzer zu gefallen. Wenn es etwas gibt, dass diesem Hund sehr gefällt, wird er sich um dieses Interessensgebiet bemühen, ohne sich besonders um seinen Besitzer zu kümmern. Dementsprechend muss man diesen Hunden viel Abwechslung bieten, um sie zu überzeugen, dass „Mitmachen“ sich für sie lohnt.
Dann gibt es noch die dickköpfigen Hunde, die mit einem starken Willen. Terrier sind die Paradebeispiele für diese Charaktereigenschaft, ebenso Shiba Inus, Dackel und oder Australian Shepherds. Diese Hunde machen durchaus, was sie sollen, wollen aber meistens erst einmal wissen, inwiefern es sich für sie lohnt: Für Mindestlohn arbeiten diese Hunde nicht. Diesen Hunden muss man beibringen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, dem Menschen nachzugeben: Das sind die Hunde, die man fabelhaft mit Keksbelohnungen überzeugen kann und mit denen man am besten durch kurze Trainings-Einheiten zum Erfolg kommt.
Ziemlich mühsam sind auch die Hunde, die sich sehr leicht ablenken lassen. Sie tendieren dazu, ihren Besitzern ihre geschätzte Aufmerksamkeit nur mal kurz zuteil werden zu lassen. Viele Windhunde wie Salukis und Afghanen finden den Horizont meist viel interessanter als ein Auge auf ihren Besitzer zu halten; Beagle lassen sich sehr leicht von den vielen Gerüchen am Boden überwältigen. Sobald diese Hunde abgelenkt werden, verlieren sie ihren Fokus auf ihren Menschen oder die Aufgabe, die ihnen gerade gestellt wurde – eine Art Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Solche Hunde zu erziehen ist nicht einfach, weil man ständig Fokus-Übungen mit ihnen machen muss.
Deshalb ist es so wichtig, seine Hunde genau zu beobachten: Damit man nicht gegen seinen Hund und seine Persönlichkeit arbeitet, sondern mit dem Hund zum Team werden kann.
Wollen Sie wissen, wie es mit meinen Hunden aussieht? Luise ist ein dominanter Hund, der außerdem sehr selbstbewusst ist und sich sehr leicht langweilt (versuchen Sie mal, mit ihr viermal hintereinander die gleiche Übung zu machen: Pfffft. Nach dem zweiten Mal macht sie nicht mehr mit, sondern gähnt und setzt sich hin.).
Harry ist extrem leicht ablenkbar (er hat ADS sozusagen erfunden), eher schüchtern, gleichzeitig nervös und hat dickköpfige Tendenzen mit sehr geringer Impuls-Kontrolle – er denkt nicht lange nach, bevor er reagiert (will heißen: Er gibt einem kaum Warnung, bevor er etwas tut, was ein rechtzeitiges Eingreifen schier unmöglich macht. Deshalb kann ich mittlerweile auch Gedankenlesen). Harry war sozusagen mein personifizierter Hochschulabschluß in der Hundeerziehung.
Fritz ist ebenfalls ein Anführer, selbstbewusst mit starkem Willen und gleichzeitig leicht ablenkbar. Macht mir nichts aus; kann ich.
Gretel ist selbstsicher, aber nicht dominant, sie kann sich sehr gut konzentrieren, sie macht mit und ist leicht motivierbar, weil sie grundsätzlich daran interessiert ist, es mir recht zu machen. Sie lernt gut aus Fehlern, ordnet sich mir und anderen Hunden ohne Probleme unter, ist zufrieden mit ihrem Gruppen-Status und trällert den ganzen Tag ein Lied.
Also nix für Leute, die eine Herausforderung suchen. Aber denen überlasse ich gerne mal alle vier: Denn dann kommt zu den ganzen interessanten Persönlichkeiten noch die Gruppendynamik hinzu.
Und was ist mit Ihren Hunden?
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