Wir leben in hochinteressanten Zeiten, was Hundeerziehung betrifft. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich unglaublich viel verändert. Seit der harschen Erziehungsmethoden durch Unterordnung durch harte Strafen und des unbedingten Gehorsams sind ganz neue Trends und Lernmethoden aufgrund wissenschaftlicher Forschungen hinzu gekommen. Sogar die Semantik hat sich verändert: Viele Wörter aus der Hundeerziehungs-Terminologie wurden aufgegeben. Wir arbeiten nicht mehr mit „Strafe“, sondern mit „Korrektur“, wir verwenden „positive Bestärkung“ und setzen keine physischen Bestrafungen wie Prügel mehr ein.
Wir haben angefangen, auf die Experten der Hundeerziehung zu hören – und das sind die Hunde selbst. Nur wenn wir verstehen, wie Hunde ticken, können wir sie dazu bringen, gerne und gutgelaunt das zu tun, was wir von ihnen wollen.
Es gibt diese Leute, denen jeder Hund gleich hinterher läuft – weil er sich bei ihnen sicher und aufgehoben fühlt, weil er klare Signale bekommt, die er verstehen kann. Und es gibt die Menschen, die ein Leben lang ihrem Hund hinterher laufen, weil sie ständig gemischte Botschaften aussenden, nicht meinen, was sie sagen, oder selbst nicht wissen, was sie meinen.
Das hat etwas mit Führungsqualität zu tun – aber nichts mit veralteten Konzepten wie „Alphahund“, Beta, Omega, oder damit, dass der Mensch bestimmt, wer welches Spielzeug wann haben darf, wasweißich. Hunde interessiert solche Konzepte nicht: Sie versuchen schlicht, auf bestmögliche Art zu (über-)leben. Wenn sie das Gefühl haben, jemand zeigt ihnen auf ruhige, angenehme Art, wo’s lang geht und ihnen Konflikte weitestgehend abnehmen, dann fügen sie sich gerne ein. Hunde sind nämlich faul: Sie wollen möglichst ihre Ruhe.
Nicht jeder ist zum Anführer geboren. Viele Menschen „managen“ ihre Hunde eher, als dass sie „führen“. Ein Manager verwaltet, kontrolliert und bilanziert, während ein Anführer sich mit Potentialen und Bedürfnissen von Hunden, Menschen oder Rindern beschäftigt – je nachdem, wen er führen möchte. Ein guter Anführer passt seinen Führungsstil an die Möglichkeiten seiner „Mitarbeiter“ an und führt sie Schritt für Schritt dort hin, wo er sie haben möchte. Führen bedeutet Intuition, Flexibilität und Geschick.
Aber glücklicherweise muss man mit Führungsqualität nicht geboren werden: Man kann sie lernen. Große Unternehmen haben das längst verstanden und schicken ihre Führungskräfte in Seminare und zu Coaches. In vielen dieser Seminare werden Tiere eingesetzt: Vorstände großer Firmen sollen ein Shetlandpony 50 Meter von links nach rechts führen und wundern sich, dass das Pony gar nicht daran denkt, ihnen hinterher zu marschieren, während es einem fünfjährigen Kind anstandslos folgt. Das liegt daran, dass das Kind einen einzigen Gedanken im Kopf hat: „Ich bringe jetzt das Pony da `rüber.“ Während der Vorstand eher denkt: „Wie sieht das denn aus, wenn ich großer Mann jetzt mit diesem kleinen Ding über die Wiese laufe; wie geht das überhaupt; wo ist denn der Anlasser; hat da jemand gelacht?; wieso geht das kleine Vieh nicht einfach mit; so schwer kann das doch nicht sein;“, etc. Das Pony spürt die unterschiedlichen Botschaften und reagiert sofort: Nämlich gar nicht. Es kann die vielen Botschaften gar nicht filtern. Gute Führung verlangt Authentizität. Mehr ist es gar nicht. Das kann trotzdem viel Arbeit bedeuten, denn man muss sein eigenes Verhalten und die eigene Persönlichkeit reflektieren, beurteilen und bereit sein, sich neuen Denkweisen, neuen Techniken und neuen Fähigkeiten zu öffnen. Man muss seine Wahrnehmung schulen. Das ist manchmal schwer, denn wir alle sind Gewohnheitstiere und grundsätzlich eher faul. Aber es lohnt sich! Denn weil sie dies gelernt haben, können manche Leute mit sechzehn Schlittenhunden ohne Halsung und Leine durch Wald und Wiesen laufen, ohne eine Gefahr für Wild oder andere Hunde zu sein – und sogar in aller Ruhe gemeinsam wieder zuhause ankommen. Darum können manche Leute fast ohne Worte und ohne lebenslängliches Clickern mit ihren Hunden auskommen. Deshalb funktioniert bei manchen Leuten die Gruppendynamik bei drei, vier und mehr Hunden im gleichen Haushalt nicht nur reibungslos, sondern mit Zuneigung und Vergnügen.
Man muss lernen, mit dem Gegenüber zu kommunizieren – in unserem Falle ist das der Hund. Wenn wir etwas von unserem Hund verlangen, und er es nicht tut, ist es nicht sein „Fehler“, sondern unserer: Kommunikation funktioniert in zwei Richtungen. Wenn der Empfänger die Bedeutung der Botschaft nicht bekommt, dann war sie nicht verständlich. Dabei ist der Hund der Spezialist der direkten Kommunikation. Er braucht klare Hinweise: Deutungen und Meinungen kann er nicht interpretieren. Versteckte Kommandos sorgen bei ihm höchstens für Verwirrung („Ach, komm’, Fifi, setz’ dich doch mal hin!“). Wird er bei einer unerwünschten Handlung nicht gestört, kann er sie natürlich nicht selbst als „negativ“ bewerten und fährt zwangsläufig mit seinem „Fehlverhalten“ (in unseren Augen) fort. Wird er von seinem Halter nur schweigend ignoriert, stört ihn das kein Bisschen: Er wird es stattdessen sogar als angenehm und motivierend empfinden. Ich persönlich neige dazu, mit meinen Hunden nicht sehr viel zu sprechen. Ich lobe sie überschwänglich, wenn sie ein Kommando ausgeführt haben, dass ihrem Instinkt widerspricht: Wenn sie das Reh nicht gejagt haben, die Ente nicht verscheucht oder liegengeblieben sind, wenn eine Gruppe Kraniche in 50 Meter Entfernung laut trompetend einen Balztanz veranstaltet. Ansonsten ist mein Lob, dass ich ihre Handlungen stillschweigend akzeptiere, nach dem Motto: „Gut, nur weiter so, ich werde dich nicht stören!“ – anstatt ständig auf meine Hunde einzureden. Bei vier Hunden und meist noch dem ein- oder anderen Besuchshund wäre ich sonst den ganzen Tag am quasseln, und das würde meine Hunde dazu veranlassen, weniger genau auf meine Sprache und Stimme zu achten. Bei Schäfern ist das nicht anders: Deren Hunde müssen ständig über 500 verschiedene Signale verstehen und befolgen. Es ist schlichtweg unmöglich, diese Aufgaben jedes Mal zu kommentieren – und offensichtlich auch überhaupt nicht nötig.
Wir Menschen haben mittlerweile ein echtes Kommunikationsproblem. Trotz unserer hohen Intelligenz können wir kaum noch Informationen aufnehmen, ohne sie mit unserer persönlichen Wirklichkeit zu füllen. Wir verlangen komplizierte Informationen, die diplomatisch sind, gesellschaftlich akzeptabel und politisch korrekt, aber um die Körpersprache eines Gegenübers zu begreifen, brauchen wir Bücher von Sammy Malcho. Klare Verständigung und direkte Kommunikation sind längst nicht mehr die Regel. Wenn wir dagegen intuitiv handeln, agieren wir gewöhnlich mühelos und schnell (was wiederum dafür spricht, warum Kinder häufig so erfolgreich im Führen von Hunden und Pferden sind).
Wir neigen dazu, unsere Hunde zu vermenschlichen. Wir attestieren ihm Gefühle wie Eifersucht, Angst, Wut, Neid, Zorn, wir entschuldigen die Tatsache, dass er im Park fremde Männer anknurrt oder anbellt damit, dass er früher von einem Mann schlecht behandelt wurde. Das hilft dem Hund ebenso wenig, wie dem fremden Mann im Park, der von Ihrem Hund angebellt wird. Möglicherweise stimmt es nicht einmal: Vielleicht bellt Ihr Hund, weil er gelernt hat, dass er dann jedes Mal Ihre Aufmerksamkeit bekommt. Sein Verhalten ist in seinen Augen also völlig richtig und angepasst.
Hunde leben in der Gegenwart – ein Satz, den Sie zweifellos schon viele, viele Male gehört und gelesen haben. Wir Menschen analysieren stattdessen das Geschehene, machen Ursachenforschung und verpassen den Moment, im richtigen Moment richtig zu reagieren. Mit unserer Neigung zum analytischen Denken verhindern wir den direkten Dialog mit unserem Hund, denn der Hund ist schon längst weg, weiter und mit einer anderen Sache beschäftigt. Wir müssen uns von unseren gewohnten Verarbeitungsmechanismen verabschieden. Wir können die Problembewältigung nicht in die Vergangenheit verlagern, indem wir nach den Ursachen des Fehlverhaltens forschen, und dann erst nach einer Lösung suchen. Entscheidend ist einzig und allein das direkte Agieren und Reagieren und das umgehende Timing.
Das geht nur, wenn wir lernen, mit unserem Hund so kommunizieren, dass wir seine Aufmerksamkeit haben, wenn wir mit ihm unterwegs sind. Er soll „angeschaltet“ sein: Er kann das. Hunde können ohne Weiteres konzentriert schnüffeln oder buddeln, und trotzdem aus den Augenwinkeln genau sehen, dass wir etwas von ihnen wollen. Wie gesagt: Denken Sie an Hütehunde.
Konditionierung ist keine Kommunikation. Konditionierung ist ein fabelhafter Weg, um jedes Tier zu unterschiedlichsten Reaktionen und Verhaltensmustern zu veranlassen. Das funktioniert allerdings nur so lange, wie der Lock- bzw. Belohnungsreiz stärker ist als der Außenreiz. Will heißen: Für meine Hunde ist das Hetzen von Wild (=unglaubliche Adrenalinausschüttung) viel, viel toller als das köstlichste Würstchen. Ohne ein klares Kommunikationskonzept wäre ich dem Leben mit vier hochreaktiven Hunden mitten in einem sehr wildreichen Gebiet nicht gewachsen, Clickertraining hin- oder her.
Führungstechniken kann man lernen. Kommunikation mit seinem Hund auch. Man braucht nur einen Plan, Geduld und etwas Zeit. Ich sage ja immer: Hunde machen uns zu besseren, interessanteren Menschen. Sie werden schon sehen.
Zwei Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, erklären den Weg zur besseren Kommunikation mit dem Hund hervorragend – noch besser sind natürlich Seminare bei den jeweiligen Damen:
Anne Krüger ist Schäferin ( www.die-schaeferin.de/ ) und lebt mit zwölf Border Collies und ca. 800 Schafen, Pferden, Ziegen, Gänsen und Enten auf einem Bio-Bauernhof in Niedersachsen. Seit vielen Jahren lehrt sie sehr erfolgreich ihre Art der freundlichen Kommunikation mit Tieren („HarmoniLogie“).
Die Hundetrainerin Yvonne Adler führt seit vielen Jahren in der Nähe von Wien eine Hundeschule ( www.adler-dogs.at ) und hat zusammen mit ihrem Mann, einem Management-Coach ein eigenes Trainingskonzept entwickelt.
Zusammen mit der Verhaltensforscherin und Hundetrainerin Gudrun Braun beschreibt sie in diesem Buch, wie der Mensch seine Persönlichkeit weiter entwickeln kann, um den eigenen Hund besser zu verstehen.