Lilli war ein ganz normaler, gutgelaunter Welpe, der wie ein menschliches Baby ständig Beschäftigung und Anleitung von ihrer Menschengruppe brauchte. Bloß kümmerten die sich nicht darum. Morgens wurde sie eilig an der kurzen Leine neben dem Kinderwagen zur Kita hergezogen; für Spiele ohne Leine oder kleine Spiele mit anderen Hunden war keine Zeit. Stattdessen wurde sie weiter gezerrt, wenn sie neugierig einen Hund begrüßen wollte. Zuhause spielte niemand mit ihr, ab und zu warf mal irgendwer ein Spielzeug, aber ansonsten blieb Lilly sich selbst überlassen. Sie langweilte sich, als sie die Fernbedienung entdeckte, die wunderbar nach ihren Menschen und nach köstlichen Kartoffelchips roch, und kaute glücklich darauf herum. Der Druck der abgerundeten Kanten war angenehm für ihr schmerzendes Zahnfleisch, denn sie war im Zahnwechsel. Als der Mensch das sah, schrie er sie an, fuchtelte mit der Fernbedienung vor ihrem Gesicht herum und schüttelte sie. Lily hatte keine Ahnung, was sie falsch gemacht hatte. Mit den Stofftieren im Kinderzimmer verhielt es sich genauso: Sie rochen gut, besser als ihr Ball, nach den Kindern, die den ganzen Tag nicht da waren, aber der erwachsene Mensch geriet außer sich, als sie damit spielte. Lilly wurde immer unsicherer. Sie langweilte sich halb zu Tode, konnte offenbar überhaupt nichts richtig machen, kläffte auf der Straße andere Hunde an und raste manchmal durch die Wohnung, um irgendwie ihre Energie loszuwerden, und rannte dabei alles um. Irgendwann brachte man sie ins Tierheim, einer bizarren Welt, in der unglaublicher Krach, Angst und Gebell herrschte. Lilly wollte nichts fressen, wollte mit niemandem spielen begann, ihre Pfoten aufzunagen, um sich irgendwie von dem Streß abzulenken. Sie hatte Glück und wurde von einem jungen Paar adoptiert, die sich mit ihr beschäftigten. Sie reagierte gut, machte mit, freute sich über die ruhige, geregelte Umgebung, die Spaziergänge, die Beschäftigung. Es roch gut, sie bekam gutes Futter. Sie benahm sich mustergültig, um den Frieden nicht zu stören. Nach ein paar Monaten wurde sie sicherer und fing an, die neuen Grenzen zu testen. Niemand hatte ihr wirklich je gezeigt, was von ihr erwartet wurde, also probierte sie aus, wie weit sie gehen konnte. Andere Hunde machten ihr Probleme, denn sie hatte nie gelernt, wie sie sich ihnen gegenüber eigentlich verhalten sollte, an der Leine bellte sie sie wie verrückt an, ohne Leine rannte sie weg. Irgendwann bekam sie Angst und biß einen anderen Hund, dessen Verhalten sie missverstanden hatte. Für ihre neuen Besitzer war das zu viel. Sie brachten sie zurück ins Tierheim. Sie gilt als schwer einschätzbar“. Und darum sitzt sie noch nach Jahren im Tierheim und wird dort wohl auch bleiben.
Dies ist keine ungewöhnlich traurige Geschichte, sondern Realität für Tausende von Hunden jedes Jahr überall in der westlichen Welt, die als fröhlicher, aufgeweckter Welpe ins Leben starten und ohne liebevolle Führung, Verantwortung und Beschäftigung sich selbst überlassen werden. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Ihre Eltern dasselbe gemacht hätten?