George

George

Na gut. Es wird Zeit, diesen jungen Mann vorzustellen.

Es ist dabei wirklich nicht so, als wollte ich George irgendjemandem vorenthalten. Es war nur anfangs nicht ganz klar, wie lange er hier bleiben würde oder wollte – wir brauchten eine Weile, um einander näher zu kommen. Ich war darüber auch ein wenig beleidigt; eigentlich herrscht zwischen praktisch allen Hunden und mir sozusagen eine natürliche Sympathie. George war sich nicht so sicher, wie er mich finden sollte, weil ich mich offenbar ganz anders verhielt, als er es gewohnt war: Ich setzte grenzen. Ich sagte relativ häufig „Nein“ zu ihm. Und ich erwartete, dass er seinerseits etwas dafür tut, gemocht zu werden.
Fand er aber nicht.

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George ist ein Tierschutzhund. Zwei Jahre alt, 24 Zentimeter Schulterhöhe bei einem Gewicht von 4,5 kg (und damit ein Kilo zu schwer). Er sieht aus wie ein Bonsai-Australian Shepherd, ist aber ein Chihuahua-Mischling. Womit er gemischt, weiß niemand – ich schwanke zwischen Papillon und Jack Russell.
Geboren wurde er in England, in Devonshire, so steht es in seinem Impfausweis. Dann zog er mit seinem Frauchen offenbar nach Malaga um. Geimpft wurde er ganz regelmäßig, geliebt und gut behandelt wohl auch, denn er beansprucht ganz selbstverständlich den weichsten Platz auf dem Sofa für sich, oder mein Bett, oder ein Kopfkissen (in diesem Haushalt allerdings total verboten).
Er sollte wohl auch wieder mit zurück nach England ziehen, denn er hat die erforderlichen Tieter im Impfausweis – wurde aber trotzdem abgegeben. Mitsamt einem Koffer mit Hunde- Nikolauskostümen, Bademänteln, T-Shirts und allem, was ein Hund auch sonst bei besten Willen nicht braucht.
Er landete auf einer Pflegestelle, die nur suboptimal war, und dann bei mir. Es interessierten sich immer nur die falschen Leute für ihn: Mir wurden Fotos von Taschen geschickt mit der Bemerkung: Also wenn er da hinein passen würde, dann würde man ihn nehmen. Als wäre er ein Schuh, der passen müsse.
George erzählte mir in nur wenigen Worten, aber deutlichen Gesten seine Geschichte: Er musste noch nie etwas dafür tun, um geliebt zu werden: Ihm wurde einfach alles in seinen niedlichen kleinen Hintern geschoben. Er war in seinem bisherigen Leben ganz offensichtlich ein Asphalt- und Flexileinen-Hündchen, was ich erst nach ein paar Tagen verstand: Er hängte sich immer wie ein betrunkener Matrose schräg nach außen in sein Halsband hinein – weil er den leichten Zug vermißte, den Flexileinen ja immer ausüben. Gibt’s bei mir aber nicht: Er musste lernen, ganz normal mit durchhängender Leine am Halsband mitzumarschieren.
Er war offenbar auch ein Schnüffelhund, auf den immer gewartet wurde – und ich warte überhaupt nie auf meine Hunde. George trödelte, als würde er dafür bezahlt, und fand sich eines Tages allein im Wald wieder: Seitdem hat er gelernt, mich auch beim Schnüffeln und Trödeln immer im Augenwinkel zu behalten.
Ich erlaubte ihm nicht, unterm Zaun hindurch zu den Nachbarn zu rennen. Ich erlaubte ihm nicht, auf dem Sofa zu liegen. Ich erlaubte ihm nicht, in meinem Bett zu schlafen. 13032011201 Ich fütterte ihn als Letzten und offenbar weniger, als er fand, dass ihm zustünde.
Er fand mich total doof.

Das Wort „Komm!“ bedeutete ihm überhaupt nichts, zu seinem Namen hatte er auch kein besonderes Verhältnis. „Sit!“ hatte er noch nie gehört, keine Version von „Platz“, weder auf Englisch noch auf Spanisch hatte irgendwelchen Wiedererkennungswert für ihn. Stattdessen fand er es ausgesprochen lästig, dass ich ihn mit solchen Dingen aufhielt.
Aber Klickern fand er lustig. So lustig, dass er alle möglichen Kunststücke im Nullkommanix lernte. Und er begann, unsre Spaziergänge zu lieben. Anfangs war er völlig überfordert und litt unter unglaublichem Muskelkater, der Arme, aber bald lernte er, Matsch, Dreck, Staub und feuchte Wiesen zu lieben, warf sich in jeden See, jeden Tümpel, suhlte sich im Matsch und sah nach jedem Spaziergang aus wie ein rabenschwarzer Schrubber. Wenn am Rand eines Baches oder eines Tümpels richtig schwarzer Modder ist, legt er sich nicht nur bäuchlings hinein, sondern legt sich noch auf beide Seiten, der Symmetrie halber.
Vom Taschenhund zum kleinen Schwein: Das machte ihn mir sehr sympathisch.
Nachdem er verstanden hatte, dass man in diesem Haushalt für Liebe offenbar etwas tun muss, entwickelte er einen geradezu sensationellen Charme. Er begann, eine Beziehung zu mir aufzubauen – vorher kümmerte er sich wochenlang nur um die anderen Hunde. Was ihm auch kein Glück brachte, denn Harry fand ihn überflüssig und piesackte ihn, wo er konnte (nur als Kopfkissen fand er ihn ganz praktisch)08032011198 Aber Fritz mochte ihn und spielte stundenlang mit George (außerdem teilen sie eine große Begeisterung für quietschende Latexenten). Luise fand ihn irgendwie zu klein, aber ganz nett. Ida ist so knochenkrank, dass sie sowieso mehr mit sich und ihren Schmerzen beschäftigt ist.
Vor ein paar Wochen machte ich ein Trick-Dog-Seminar bei Denise Nardelli, und George benahm sich wie der Klassenstreber, lernte alles in kürzester Zeit, benahm sich vergnügt, bescheiden und wohlerzogen, bellte nie und turnte sich so langsam in mein Herz.

Das mit den Kommandos klappt immer besser, weil er gelernt hat, mir zu trauen. Er hat verstanden, dass auf mich Verlaß ist, dass ich ihn in brenzligen Situationen vor riesigen aufdringlichen Hunden, Longhorn-Rindern oder neugierigen Hengstfohlen beschütze (passierte gestern, als wir eine Weide von 110 Hektar begutachteten, auf der diese Tiere praktisch wild leben, und die George und die Windspiele für eine Sensation hielten: Sowas kleines hatten sie noch nie gesehen), dass ich ein Garant für Spaß und Abenteuer bin, solange man sich an unsere Regeln hält, und dass es hier ziemlich fabelhafte Dinge zu Essen gibt.
George ist besessen von Kindern, was sich so äußert, dass er mir anfangs immer durch den Zaun durch zu den Nachbarn abhaute und dort in stiller Anbetung im Sandkasten bei der 15 Monate alten Tochter hockte oder sich in ihrem Zimmer unter ihr Bett legte. Wenn die Tü des Kindergartens offen ist, rast er hinein und setzt sich selig dazu.
Man sieht also: es gibt überhaupt keinen Grund, ihn nicht zu behalten.

Und er hält sich auch wirklich immer besser an unsere Regeln. Wie man sieht.

George im Bett
George am 14. Juni

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