Als Shana geboren wurde, hatte sie keine guten Karten für ein langes, glückliches Leben: Sie gehörte zu einem Wurf illegal gezüchteter Mischlinge aus Schäferhund und Wolf, die als Köder für Pitbull-Kämpfe verwendet werden sollten.
Glücklicherweise landete sie im Tierheim von New York, dessen Angestellte sich mit Eve und Norman Fertig in Verbindung setzten, die in nicht weit entfernten Ort Alden das „Enchanted Wildlife Sanctuary“ führten, wo sie sich um bedrohte Tierarten und ausgesetzte Wildtiere kümmerten. „Sie war sehr klein, hatte Flöhe, Würmer und war wirklich in einem fürchterlichen Zustand“, erinnert sich Eve Fertig, die heute 88 Jahre alt ist. „Sie bekam die allerbeste Versorgung, und wurde dafür zum freundlichsten, liebevollsten Hund, den ich je kennen lernen durfte.“ Ihr Wolf-Erbe macht sich nur bemerkbar, wenn sie Musik hört: „Dann setzt sie sich hin und heult mit, ein wunderschöner Gesang. Ansonsten scheint sie aber durch und durch Hund zu sein“, so Mrs. Fertig.
Shana und die Fertigs wurden unzertrennlich. An einem Abend im warmen Oktober 2006 waren sie zusammen in einem Außengebäude des Wildparks, als ein plötzlicher Frosteinfall einen Schneesturm auslöste. Innerhalb kürzester Zeit brachen schwere Äste von den Bäumen, die dem abrupten Klimawechsel nicht standhalten konnten. Dann fiel ein großer Baum vor der Scheune um, in dem die Fertigs und Shana saßen: Sie waren geafngen. „Ich sagte zu meinem Mann: Was machen wir denn jetzt?“, erinnert sich Eve Fertig, die damals 81 war. Es wurde immer kälter in der Scheune; die Temperatur sank schnell unterhalb des Gefrierpunkts. „Eine halbe Stunde später bemerkten wir, dass Shana draußen wie verrückt buddelte.“ Was zuerst aussah wie eine Höhle in der Art, wie Wölfe sich Schutzmulden graben, erwies sich als richtiger Gang: „Sie hatte einen Tunnel zum Haus gegraben. Sie heulte und bellte und wollte, dass wir ihr folgen – aber das ging nicht, weil der Tunnel nur für einen Hund oder eine Person paßte, und außerdem war es draußen einfach furchtbar gefährlich wegen der ganzen umstürzenden Bäume.“ Shana rannte in dem Tunnel hin- und her und kam schließlich mit einem blutenden Bein zurück, das sie sich offensichtlich an irgendeinem Ast verletzt hatte. „Die Wunde sah nicht gut aus“, sagt Mrs. Fertig. „Sie sah uns eine Weile zu, wie wir darüber stritten, was wir tun könnten, dann packte sie einfach meinen Ärmel und schob mich auf ihren Rücken. Ich sagte, Norman, halt‘ dich an meinem Fuß fest! – und dann schleppte sie uns durch den Tunnel zum Wohnhaus.“
Der Chef der Feuerwehr, der in der Zwischenzeit versucht hatte, das Ehepaar zu erreichen und sich große Sorgen machte, als sich am Telefon niemand meldete, kämpfte sich mit einem Feuerwehrwagen durch den Schnee und fand die Fertigs, die auf ihrer Veranda ohnmächtig geworden waren. Shana lag auf ihnen drauf, um sie zu wärmen. „Die Feuerwehr wollte, dass wir mit ihnen auf die Station kommen, weil die Heizung und das heiße Wasser ausgefallen war, aber sie sagten auch, ‚Ihr Wolf kann nicht mitkommen.‘ Und ich sagte, Wenn Shana nicht mitkommt, komme ich auch nicht. Sie hatte uns gerettet! Also kamen sie wieder zurück und brachten uns etwas zu essen und einen Wärmegenerator.
Wenige Monate später rettete Shana ihre Besitzer ein weiteres Mal, als der Heizkessel der Fertigs Feuer fing. Sie zerrte das schlafende Ehepaar aus dem Bett. „Sie packte mich am Nachthemd und schleppte mich auf die Veranda, und dann rannte sie zurück und holte Norman“, erinnert sich Eve Fertig. „Wir riefen die Feuerwehr an und sagten, Was machen wir denn jetzt?“
Im Jahr 2011 starb Norman Fertig, wie auch der Sohn der Fertigs. „Aber Shana ist ja immer an meiner Seite“, sagt Eve Fertig. „Ich muss jetzt alleine essen, aber Shana sitzt neben mir und schläft auch jede Nacht neben mir. Ich habe einen Aufkleber auf meinem Auto auf dem steht: „Rotkäppchen hatte keine Ahnung.“