Für uns Menschen ist es selbstverständlich, dass unsere Hunde ohne Schwierigkeiten an der Leine auf dem Bürgersteig geradewegs auf einen anderen Hund zugehen – und übersehen dabei völlig, dass Hunde eine frontale Annäherung als Konfrontation sehen. Ein Hund, der direkt und von vorne auf einen anderen Hund zugeht, signalisiert damit, dass es besser wäre, wenn man ihm ausweicht. Das würde der andere vielleicht auch tun – aber dafür bräuchte er eine gewisse Bewegungsfreiheit, die er aber an der Leine nicht hat. Insofern ist es überhaupt kein Wunder, dass manche Hunde, je näher sie aufeinander zu gehen (müssen, weil ihre Menschen die Leine in der Hand haben und es nicht besser wissen), mit Bürste, Gebell oder Knurren reagieren und so versuchen, den Anderen auf Abstand zu halten. Wir Menschen lassen ihnen gar keine Möglichkeit, höflich zu reagieren, erst einmal beschwichtigend am Boden zu schnüffeln und einen großen Bogen zu laufen, um den anderen Hund dann seitlich kennen zu lernen.
Für angemessenes Verhalten bedarf es einer gewissen Bewegungsfreiheit und etwas Zeit. Gehen Sie also etwas langsamer. Wenn Ihr Hund freundlich beschwichtigen möchte, indem er ein bisschen am Weg schnüffelt oder sogar den Weg verlassen möchte, um in einem großen Bogen etwas Abstand zu gewinnen, lassen Sie dies zu und gehen ein Stück mit, sofern die Gegend das zulässt.
Ihrerseits sollten Sie darauf achten, dass Sie keine Spannung aufbauen, indem Sie die Arme anspannen und an den Oberkörper drücken oder das ruhige Atmen einstellen. Starren Sie den entgegen kommenden Hund nicht an – alle diese Gesten würden Ihrem Hund vermitteln, dass Sie gegenüber dem entgegenkommenden Hund Spannung aufbauen.
Seien Sie Ihrem Hund stattdessen ein Vorbild und schlendern Sie mit locker hängenden Armen einen kleinen Bogen, während Sie mit weichem Blick den Boden oder die ganze Gegend betrachten. Sie können auch gerne fröhlich mit Ihrem Hund sprechen – dann sind Sie nämlich gezwungen, auch mal Luft zu holen. Erzählen Sie Ihrem Hund, dass der andere Hund eigentlich echt nett aussieht, aber irgendwie auch egal, weil Sie beide ja schon so viele Hunde kennen und eigentlich nicht noch ehr Freunde brauchen, oder dass er aussieht wie der Struppi von Tante Lene, oder so – Ihnen wird schon etwas einfallen.
Einer der häufigsten Fehler von Hundehaltern ist, erst zur Seite weichen, wenn Ihr Hund schon auf der obersten Stufe der Eskalations-Treppe angekommen ist. Gehen Sie frühzeitig einen Bogen, am Besten schon, bevor Ihr Hund mit dem Fixieren des anderen Hundes beginnt. Je nach Hund kann das sein, wenn der andere Hund noch 20 bis 30 Meter entfernt ist. Manche Hunde brauchen anfangs sogar einen noch größeren Abstand, bevor Sie gelernt haben, dass Sie schon für den nötigen Höflichkeitsabstand sorgen.
Gibt es keine Möglichkeit auszuweichen, sollten Sie dennoch einen kleinen Bogen Richtung Wegesrand machen. Gehen Sie langsam, schauen Sie konzentriert auf den Boden, während Sie Ihren Hund auf der dem fremden Hund abgewandten Seite führen und ihm dabei eine amüsante Geschichte erzählen. Lassen Sie die Leine locker – wenn Ihr Hund seinerseits daran zieht, ist das sein Problem, aber von Ihnen darf kein Zug auf die Leine ausgehen. Wenn Ihr Hund sich jetzt trotzdem rabiat aufführt, ist das kein Grund zur Sorge: Wenn Sie weiterhin wie beschrieben vorgehen, werden bereits die zweite oder dritte Begegnung mit anderen Hunden deutlich entspannter.
Mit den oben genannten Führungsvorschlägen können Sie bei Hundebegegnungen auf jeden Fallschon mal die Spitze der Spannung abbauen, wodurch es für beide Seiten schon deutlich leichter wird. Für manchen Hund wird dieses Training sogar schon ausreichen, und Leinenbegegnungen mit anderen Hunden können in Zukunft friedlich verlaufen. Bei diesen Hunden dürfen Sie von Zeit zu Zeit den Bogen etwas kleiner machen, bis Sie ihn nur noch ansatzweise andeuten müssen.
Andere Kandidaten haben noch zusätzliche Gründe für ihr unangenehmes Verhalten an der Leine oder zeigen sogar umadressiertes Verhalten dem Besitzer gegenüber. Diese Hunde haben entweder gelernt, dass andere Hunde eine große Gefahr darstellen, haben ein echtes „Leinentrauma“, oder es fehlt jegliche Übung im Umgang mit Artgenossen. Es liegt auf der Hand, dass als Training bei solchen Hunden nicht ausreicht, sie entspannt und gutgelaunt an anderen Hunden vorbeizuführen. Diese Hunde brauchen weitaus mehr Hilfe, als ich hier an dieser Stelle bieten könnte. Bitte suchen Sie sich einen erfahrenen, freundlichen Trainer, der mit diesen Verhaltensweisen ausreichend Erfahrung hat.