Das krankhafte Horten von Tieren
Wenn Tierliebe voll aus dem Ruder läuft: „Animal Hoarding“ ist weltweit ein noch viel zu wenig beachtetes psychiatrisches Phänomen. Im Gegensatz zum „sammeln“ von in akuter Not befindlichen Tieren ist das krankhafte Horten von Tieren nahezu immer ein Zeichen für eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung des Tierhalters.
von Dr. med. Kubitschek
Als der aus zehn bunt zusammen gewürfelten Fahrzeugen bestehende Konvoi in Begleitung der Polizei und des zuständigen Ordnungsamtsleiters am Grundstück von Peter Panzer (Name wurde geändert) ankam, bot sich den entsetzten Tierschützern ein erschütterndes Bild. Eine unüberschaubare Zahl von verwahrlosten Hunden – darunter viele kranke Welpen – lebten in einem unbeschreiblichen Chaos aus alten Campinganhängern, ausgemusterten Autos und behelfsmäßig zusammengeschusterten Behältnissen. Von den Beamten des Veterinäramtes wurde dem Besitzer des zwischen Schildau und Kobershain gelegenen Grundstückes mit sofortiger Wirkung die Haltung von Hunden untersagt. Die vorgefundenen Tiere wurden ihm weggenommen.
Aus 45 Hunden waren überraschend 99 geworden
Die Tierschützer waren bis in die Nachmittagsstunden mit dem Einfangen der verstörten Hunde beschäftigt. Ursprünglich war man aufgrund früherer Kontrollen von rund 45 Tieren ausgegangen, die zum Teil erkrankt waren und nicht entsprechend der Hundehaltungsverordnung gehalten wurden. Doch als die mit Fangschlingen durchgeführte Hundehatz schließlich vorbei war, hatten die Tierschützer insgesamt 99 Hunde eingefangen, die noch am gleichen Abend in ein benachbartes Tierheim gebracht und in den folgenden Tagen bundesweit in Pflegestellen und Tierheime ausgeliefert wurden. „Wenn ich doch wenigstens zwei oder drei Hunde hätte behalten dürfen!“, beschwerte sich Peter Panzer gegenüber der Lokalzeitung. Doch der Amtstierarzt Gerhard Meinecke blieb hart: „Herr Panzer ist zwar kein böswilliger Tierquäler, aber er hat die Leiden und Schmerzen vieler seiner Hunde billigend in Kauf genommen. Auf Grund der sich häufenden massiven Befunde konnten wir diese Haltung nicht länger vertreten und mussten behördlich eingreifen.“
Der Fall Schildau war vergleichsweise harmlos
Der Fall Schildau ist typisch für ein Phänomen, das von Psychologen und Sozialarbeitern als „Animal Hoarding“ (Tiere horten) bezeichnet wird. Dieses Horten von Tieren hat für die Experten wenig mit dem in Tierschützerkreisen weit verbreiteten „Sammeln“ ausgesetzter Tiere zu tun. Während der Tierschützer zum Sammeln der in akute Not geratenen Tiere durch das massenhafte Tierelend quasi gezwungen wird, stecken hinter dem „Tiere horten“ häufig zum Teil schwere psychische Erkrankungen der Tierhalter.
Das Hundeelend von Schildau ist auch in Deutschland trauriger Alltag. Erst wenige Wochen vorher war es in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) zu einem weiteren Fall von Tiere-horten gekommen. In der kleinen Stadt hatte eine Frau in einem verlassenen Haus 19 Hunde gehalten, die völlig verwahrlost und unterernährt waren. Aufgrund der Beschwerden der vom ständigen Gebell der Hunde genervten Nachbarn wurden alle Hunde beschlagnahmt und von Tierschützern in Pflegestellen vermittelt.
Ähnliche Fälle ereignen sich in vielen Ländern. Das Fachblatt Health and Social Work untersuchte 71 Fälle, die sich in bestimmten Punkten wie ein Ei dem anderen glichen. Insbesondere die Verwahrlosung der Tierhalter wurde von den Sozialarbeitern als charakteristisch angesehen. Oft funktionierte die Strom- und Wasserversorgung nicht mehr, was die Situation zusätzlich erschwerte.
US-Tierärzte definieren den Begriff vom „Animal Hoarding“
Für die Beurteilung des für die betroffenen Tiere und Menschen so belastenden Phänomens, dass eine Form des „Messie-Verhaltens“ darstellt, wird immer häufiger eine Definition herangezogen, die die amerikanische Tierärztevereinigung anläßlich einer Studie publiziert hat. Von „Animal Hoarding“ spricht man demnach, wenn eine Ansammlung einer großen Zahl von Tieren die Fähigkeiten des Tierhalters übersteigt, sanitäre und tierärztliche Minimalstandards der Tierpflege einzuhalten. Fehlende Einsicht der Tierhalter in die Abnormität der konkreten Situation (Allgemeinzustand und Krankheiten der Tiere, sanitärer und allgemeiner Zustand der Wohnung etc.) und ein Mangel an Einsicht in die negativen Folgen des Hortens der Tiere sowohl für die schutzbefohlenen Tiere, wie auch für die Gesundheit des Tierhalters kommen hinzu.
Der entscheidende Punkt der Grenzüberschreitung zwischen „normal“ und „krankhaft“ ist aber nicht die absolute Zahl der gehaltenen Tiere, sondern in erster Linie die fehlende Einsicht des Tierhalters in die Untragbarkeit der Situation. Dadurch wird nicht an der Lösung des Problems gearbeitet . Außerdem entfällt oft die Möglichkeit der Hilfe und Einwirkung von außen.
Schildau und Parchim waren für die Tiere das Fegefeuer – Pommersdorf aber war die Hölle
Schaut man sich konkrete Fälle an, so wird deutlich, daß es sich bei dem erst vor wenigen Tagen, bzw. Wochen aufgedeckten Fällen von Schildau und Parchim sozusagen um eine light-version von „Animal Hoarding“ handelt. Viel schrecklicher war der Fall Pommersdorf, der vor einigen Jahren Österreich erschütterte.
In dem nur zwanzig Häuser großen Ort Pommersdorf wurde eine schwer kranke Frau in ihrem Bett gefunden, die halb tot in ihren eigenen Exkrementen lag. Nachdem von den Nachbarn viel zu spät Hilfe gerufen wurde, starb die 63-jährige auf dem Weg ins nächstgelegene Krankenhaus im Rettungswagen. Zusammen mit der schwerkranken Tierhalterin hausten fast 80 verwahrloste Hunde in einem nur 15 Quadratmeter großen Raum, einige der Tiere waren bereits tot und lagen halb verwest auf dem Fußboden. In Pommersdorf und Umgebung wußten Nachbarn und Verwandte zwar von den untragbaren Zuständen am Hof der verstorbenen Brigitte Brandt (Name wurde geändert) doch passiert ist nichts. Auch den zuständigen Behörden war die Verstorbene gut bekannt. Bereits vor drei Jahren musste sich die Pudelzüchterin wegen der Haltung ihrer damals vierzig Hunde vor dem Veterinäramt verantworten.
Behördenauflagen nützten nichts
Von der zuständigen Behörde wurden strenge Auflagen erteilt, doch Kontrollen fanden danach offenbar nicht statt. Die Hundezahl verringerte Frau Brandt nicht. Im Gegenteil, sie verdoppelte ihren Bestand an Pudeln. Amtstierarzt Dr. Franz Appel verteidigte sich in der empörten Öffentlichkeit: „Die Frau hat niemanden hineingelassen und mit Selbstmord gedroht, falls man ihr die Hunde wegnehmen würde.“ Weggeschaut haben nicht nur die Behörden, sondern letztendlich auch Verwandte und Nachbarn. Diese holten erst Hilfe, als sie die Frau für tot hielten. Die Pensionszahlungen lieferte der Briefträger angeblich schon längere Zeit bei den Nachbarn ab.
Beim Abtransport der Frau traute sich wegen der vielen Hunde niemand in die „Wohnküche“. Ein um Hilfe gebetener Tierschützer kann die schrecklichen Bilder nicht vergessen: „Schon von draußen drang der furchtbare Gestank zu uns. Die Frau war von Geschwüren bedeckt, die Füße dunkelblaue Fleischklumpen, die Zehennägel fehlten. Deswegen dachten wir anfangs, die Hunde hätten sie angeknabbert. Doch die Wunden waren krankheitsbedingt.
Hunde lebten und starben in ihrem eigenen Kot
„Im Zimmer und im Hof lagen Hundekadaver herum. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Die überlebenden Hunde sahen aufgrund der Kotplacken in ihrem Fell wie Schildkröten aus und konnten kaum noch gehen.“ Ein 14 kg schwerer Hund hatte ein kotverklebtes Fell das 12 kg wog. Ein anderer Hund war durch seinen Kot am Fußboden festgeklebt.“
Einer der wenigen Sachverständigen, der österreichische Arzt und Hundexperte Hans Mosser, erläutert im Internet (http://www.wuff.at/), dass es sich beim „Animal Hoarding“ nicht etwa um fehlgeleitete Tierliebe, sondern um eine psychische Erkrankung des Tierhalters handelt.
„Manche halten diese Menschen für übertriebene Tierschützer, die jedem Tier ein Zuhause geben wollen. Aber es ist nicht übertriebene Tierliebe, um die es hier geht, sondern ein menschliches Gesundheitsproblem, eine psychische Erkrankung. Es handelt sich dabei um Menschen, die – häufig alleinstehend und sozial isoliert – herrenlose Tiere horten. Üblicherweise erfolgt keine Kontrolle der Fortpflanzung der Tiere, so dass das Problem in relativ kurzer Zeit eskaliert. Die betroffenen Menschen vernachlässigen sich und die Wohnung, es kommt in der Wohnung zur Anhäufung manchmal unvorstellbarer Mengen tierischer Exkremente, sogar im Bett des Menschen, dem dies nichts mehr auszumachen scheint.“
„Tiere horten“ tritt meist zusammen mit schweren psychischen Erkrankungen auf
Dieser Ansicht waren auch die Experten vom „Center for Animals and Public Policy“, Massachusetts, die nach Auswertung von 54 Fällen, die sich landesweit in den USA zugetragen hatten, ein typisches Profil der „Tierhorter“ erstellt haben. Sie fanden in der wissenschaftlich-psychiatrischen Literatur deutliche Zusammenhänge mit verschiedenen Krankheitsbereichen wie Demenz, pathologisches Suchtverhalten, Bindungsstörungen und Zwangsneurosen. Um die Erkrankung „Tiere horten“ von einer übertriebenen Tierliebe abzugrenzen, verwendet man im Englischen bewusst den Ausdruck „Hoarding“ (Horten) und nicht „Collecting“.
Typisches Profil eines „Tierhorters“
In der Zeitschrift „Public Health Report“ wurde das typische Profil der „Tierhorter“ veröffentlicht:
- 76% der Tierhorter sind weiblich.
- 46% sind 60 Jahre oder älter.
- Mehr als die Hlfte lebt allein.
- In 69% der Fälle ist der Boden des Wohnbereichs mit tierischen Exkrementen bedeckt.
- In über 25% der Fälle befanden sich Kot und Urin sogar im Bett des „Tierhorters“.
- In 80% der Fälle wurden im Umfeld des „Tierhorters“ auch tote Tiere gefunden, von denen dieser in 60% der Fäle keine Notiz nahm.
Aufgrund der oft jahrelangen Untätigkeit aller zuständigen Behörden mahnte der Autor der Studie ein sehr viel schnelleres Eingreifen von Amtsärzten und -tierärzten an. Während das „normale“ Sammeln in Not befindlicher Tiere natürlich keinen Krankheitswert hat, rechtfertigt das „Animal Hoarding“ nach seiner Ansicht ein schnelles ärztliches Handeln. Aufgrund der meist fehlenden Einsicht der „Tierhorter“ natürlich auch gegen den erklärten Willen der Betroffenen.
Dr. med. Kubitschek http://www.medizin-2000.de/streitpunkt/tierschutz.html