Ich weiß nicht, wann ich mir das letzte Mal bewusst überlegt habe, einen weiteren Hund zu übernehmen. Oder an- zunehmen. Hunde scheinen mir immer zu begegnen, plötzlich braucht irgendeiner irgendwo ein Zuhause, oder irgendjemand findet, ein bestimmter Hund sollte unbedingt bei mir leben. Ich selber bin nur selten an der aktiven Entscheidung beteiligt. Hunde passieren mir irgendwie.
Ich bin froh, dass das früher mit möglichen Kindern ganz anders lief. Besser, möchte ich sagen.
Auffällig ist, dass in den letzten Jahren meine Hunde immer kleiner werden. Ging ich noch vor ein paar Jahren als Alpha-Bitch mit großen und sehr großen Hunden spazieren und wirkte dabei anscheinend so, als solle man mir lieber nicht widersprechen, nehmen hier aufgrund der nationalen Kleinhund-Notsituation in meinem Leben die niedrigwüchsigen Vierbeiner deutlich zu. Kleine Hunde bergen Gefahren: Man bildet sich immer ein, einer würde noch gehen, in irgendeine Ecke im Auto kann man den auch noch quetschen. Es wäre unmöglich, mit acht oder neun Barsois oder Collies oder Galgos beiläufig spazieren zu gehen – ganz abgesehen davon, dass ich dann einen kleinen Lastwagen brauchen würde -, ohne dass die gesamte Umgebung in Bewegung gerät. Mit dieser gemischten Truppe dagegen werde ich auf Schritt und Tritt wohlwollend angesprochen: „Mei, das ist ja mal eine tolle Gruppe! Hunde in jeder Größe! Und, verstehen die sich alle?“ Offensichtlich wirken die freilaufenden Kleinhunde zusammen mit Barsoi und (riesigem!) Kurzhaar-Collie vertrauenserweckend: Wenn die Kleinen bis hierher überlebt haben, sind die großen Hunde offensichtlich freundlich. Und es ist ja auch wirklich ein herzschmelzendes Bild, wenn die winzige Violetta zwischen Rapunzel und Ludwig spazieren geht.
Bis jetzt. Ich wusste vorher auch nicht, dass man einen wirklich kleinen (aber oho!) Chihuahua größenmäßig noch unterbieten kann, aber es geht.
Vor ein paar Wochen bekam ich einen Anruf, dass in Altötting eine Dame einen Wurf Hunde habe, dem es nicht gut gehe, also das sei wirklich ein schlimmer Zustand, ob ich mich mal kümmern könne. Und weil ich das Wort „Nein“ noch immer nicht aussprechen kann, wenn’s drauf ankommt, fuhr ich nichtsahnend los. Eine freundliche ältere Dame öffnete die Tür an der angegebenen Adresse, und ich sagte, ich hätte gehört, dass sie junge Hunde hätte und wohl Hilfe bräuchte. Sie bat mich lächelnd herein, hinterfragte mein Anliegen gar nicht (das ich mir an meiner eigenen Tür streng verbeten hätte!), und führte mich in ihr Wohnzimmer. Dort saß eine kleine Hündin, die so schmutzig war, als habe man eine Garage mit ihr ausgewischt. Sie war schwarz mit braunen Abzeichen und fransigem Fell, eine Art kleiner Spaniel vielleicht, mit gewaltigen Ohren. Die Rasse konnte ich nicht erkennen. Sie sah wirklich nicht gut aus, und die fünf Welpen um sie herum waren auch nicht in besonders guter Form: Winzig, mit riesigen Ohren und so dünn, dass man trotz Flauschfell ihre Rippen sehen konnte. Ich begann ein Gespräch mit der Dame, und relativ schnell dämmerte mir, dass die Hunde hier nicht das einzige Problem waren: Die Dame konnte mir nicht sagen, ob die Welpen vier Tage, vier Wochen oder drei Monate alt waren, die Hündin war erst „ganz jung“, dann doch vier Jahre alt. Als ich näher hinsah, war das ganze Haus irgendwie durcheinander und oll, und auch die Dame wirkte so, als habe sie schon eine ganze Weile den Weg ins Badezimmer nicht mehr gefunden. Ob sie eigentlich Verwandte habe, ob sich jemand um sie kümmere, konnte sie nicht so richtig beantworten. Und je länger ich im Haus war, desto deutlicher wurde, dass die Dame mit fortgeschrittener Demenz oder Alzheimer zu tun hatte. Die Küche sah schrecklich aus, als wäre schon lange nicht mehr mit Scheuermilch oder ähnlichem gearbeitet worden, und auf dem Küchentisch standen ordentlich ausgewaschen und gestapelt Verpackungen von Fertigmahlzeiten.
Ich versuchte, bei den Nachbarn herauszufinden, seit wann die Dame bereits in diesem Zustand lebte, aber die Antworten waren alle eher vage. Es gab einen Sohn, der aber auf Rügen wohnte, also praktisch im Ausland, aber keine Haushaltshilfe (sowieso ein kompliziertes Thema in Bayern auf dem Land – da macht man sowas selbst, und für fremde Leute putzt man nicht). Die Person, die mich ursprünglich ziemlich empört und aufgeregt wegen der Hunde kontaktiert hatte, hatte den Zustand der Hundebesitzerin offensichtlich übersehen: Die Hunde sahen fies aus, keine Frage, aber der Mensch dazu war ebenfalls in Not.
Langer Rede, kurzer Sinn: Ich fand irgendwie die Telefonnummer des Sohnes heraus, der der Meinung war, bei seinem letzten Besuch vor sechs Wochen wäre eigentlich alles noch gut gewesen (wer’s glaubt…) und erstaunt wirkte, als ich ihm erklärte, seine Mutter sei in einem fortgeschrittenen Zustand der Demenz und könne nach meiner laienhaften Meinung nicht mehr alleine leben. Ich ließ der Dame ein Tray Hundefutter da und telefonierte die nächsten zwei Tage mit Ämtern (unfreundlich und wenig hilfsbereit), Altersheimen (unwillig und überfordert), Ärzten und Pflegeeinrichtungen (hoffnungslos). Nach zwei Tagen fuhr ich wieder bei der Dame vorbei und sah, dass die Hundefutterdosen allesamt leer und sorgältig ausgewaschen auf dem Küchentisch standen. „Was, ist das schon alles alle?“ fragte ich verwirrt, denn wie sollten diese sehr, sehr kleinen Hunde sechs Dosen gefressen haben, die vor allem nicht so aussahen, als hätten sie irgendwas in den letzten Tagen wirklich etwas bekommen? Sie lächelte. „Ja, war köstlich!“ sagte sie zufrieden. Ich gebe zu, dass man meinen Dosen nicht ansieht, dass es Hundefutter ist, und zum Glück produzieren wir unter höchsten Lebensmittel-Standards – aber es steht ja mitten drauf, was es ist. Bio-Rind, Bio-Reis und Bio-Karotten mit gewissen Nährstoff-Zusätzen, die Hunden nützen und Menschen nicht schaden können, aber dennoch.
Das Gute daran war, dass nun auch die bockigsten Ämter begriffen, dass es Handlungsbedarf gab. Die Hunde wollte ich nicht aus dem Haushalt nehmen, bevor die Dame nicht untergebracht war – demente Patienten oder solche mit Alzheimer kommen sehr schlecht mit Veränderungen zurecht, und ich dachte: Die Hunde hatten es schon eine Weile überlebt, sie würden noch ein paar Tage durchhalten, wenn ich sie regelmäßig (selbst) fütterte
Bei Katastrophen laufe ich glücklicherweise zu Hochform auf, ich arbeite die notwendigen Punkte einfach stur ab. Weil ich seit vielen, vielen Jahren mit meinen Hunden und der Ziege Oskar in verschiedenen Einrichtungen für Alzheimer Patienten Besuchsdienst mache, fand ich tatsächlich ein Pflegeheim mit einem freien Platz. Der Sohn sagte zu, sich zu kümmern und sich mit den von mir gelieferten Telefonnummern in Verbindung zu setzen. Mein Netz funktionierte, so dass ich auch für die kleine Hündin und die Welpen passende Stellen fand (ich bin immer wieder erstaunt, dass überhaupt noch Menschen ans Telefon gehen, wenn ich anrufe: Fast alle Leute, die ich kenne, haben mindestens einen Hund von mir. Den kleinsten, eine Hündin, wollte ich selbst übernehmen, weil sie irgendwie wackelig wirkte.
Der Sohn kam an und wirkte ratlos; als Typ wirkte er auf mich verkrampft und seltsam, und er hatte auch keine Zeit, seine Mutter ins Pflegeheim zu bringen, er musste sich mit der Bank treffen. Also organisierte ich den Umzug, ließ die Hunde von ihren Pflegestellen abholen, setzte die Dame in mein Auto, stopfte den winzigen Welpen in eine Bauchtasche, brachte die Dame in das Pflegeheim und fuhr zum Tierarzt, der sich das 740 Gramm-Tierchen einmal ansehen sollte, fuhr dann kurz bei meiner Mutter vorbei, die auch viel Pflege und Aufmerksamkeit braucht, machte nebenbei zwei Ernährungsberatungen am Telefon und fuhr dann nach Hause. Es ist immer wieder überraschend, was man alles in einem einzigen Tag unterbringen kann.
So. Und jetzt zu dem wichtigsten Thema: Meet YaYa. Sie ist offenbar ein langhaariger Prager Rattler oder ein Russkiy Toy oder ein Alien. Sie heißt YaYa, weil sie hier an Halloween einzog und in den amerikanischen Südstaaten die „Yayas“ freundliche Hexen sind. YaYa sieht aus wie eine Mischung aus Bambi und Flughörnchen, oder Ohren mit Beinen. Ein Comic-Hund mit riesiger Persönlichkeit. Sie hat eine Attitüde wie ein Filmhund. Wenn man mal einen Hund braucht, der mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist.
Immer dann, wenn ich glaube, ich weiß jetzt wirklich alles und mir kann keiner mehr etwas beibringen, bekomme ich – sofort! – auf die Mütze. Es ist Schicksal oder Karma oder wer auch immer, aber das ist der Grund, warum ich letztlich doch immer relativ bescheiden bleiben muss. Angeberei kann ich mir nicht leisten, die Strafe folgt immer sofort.
Und so lehrte mich dieser winzige Hund – neben dem Violetta aussieht wie ein PitBull – Mores: Am ersten Tag war sie bestens gelaunt, am zweiten auch noch, und am dritten Tag frass sie zu wenig für einen so kleinen Hund. Nachts wachte ich auf, weil sie in ihrer Box beim Weg auf die Windel umgekippt war und nicht mehr aufstehen konnte. Sie wackelte, konnte nicht mehr stehen und wollte nichts fressen. Ich mischte Wasser mit Honig und flößte es ihr mit einer Spritze ein, und nach einer Dreivertelstunde ging es ihr besser. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Hund Unterzucker hat, aber genau das war bei YaYa der Fall. Morgens stolperte sie schwindelig ins Gras, Futter rührte sie nicht an, also fuhr ich zum Tierarzt, der ihr Glukose spritzte und mich dann in die Tierklinik nach Altheim (Österreich) schickte.
Man erzählt das so matter-of-factly und cool, aber ich war doch ziemlich außer mir, als ich mit dem winzigen, schlappen Hündchen im strömenden Regen über die Autobahn fuhr; ich hatte sie ja extra übernommen, weil sie mir von vorneherein nicht stabil erschienen war – aber ich hatte dann doch nicht damit gerechnet, dass sie mir gleich unter den Händen wegsterben würde.
Um es gleich zu sagen: YaYa ist eine Kämpferin. Sie kam an den Tropf (mit einem Schlauch, dessen Durchmesser dem ihrer Beinchen sehr ähnlich war), wurde von Kopf bis Fuß untersucht und fraß am nächsten Morgen zur Freude des Klinikpersonals ein bisschen Recovery-Futter. Ich glaube, dass YaYa während der anderthalb Tage ihres Aufenthaltes von Schoß zu Schoß gereicht wurde, denn als ich sie abholte, massierte ihr die Tierärztin ihr die großen Ohren auf eine Art und Weise, die sehr vertraut wirkte. Sie wissen schon: Man spürt das, wenn zwei sich näher sind, als man ursprünglich dachte.
Es gab noch einen kleinen Rückfall, aber jetzt haben wir die Klippe wohl überwunden. Tatsächlich kommt Hypoglykämie bei besonders kleinen Hunden gar nicht selten vor.
- Blutzuckerwerte bei Hunden:
- Zu niedrig (Unterzuckerung): unter 60 mg/dl beziehungsweise unter 3,3 mmol/l
- Normal: zwischen 60 bis 111 mg/dl beziehungsweise 3,3 bis 6,2 mmol/l
- Zu hoch (Überzuckerung): dauerhaft über 111 mg/dl beziehungsweise 6,2 mmol/l
Der normale Wert liegt bei ca. 80 – 111 mg/d, YaYas lag bei 52. Wenn so besonders kleine Hunde wenig fressen, wird die Regulation von Glukose gestört, und der Hund wird schwindelig, apathisch und bekommt Seh- und Orientierungsstörungen, bekommt steife Glieder, krampft und kann, wenn man nicht schnell reagiert, ins Koma fallen. Unterzuckerung ist immer ein Notfall. In diesem Fall sollte man dem Hund sofort Honig, Traubenzucker oder Glukosesirup in die Backentasche reiben. Sobald er sich erholt, ihm möglichst Kohlenhydrate füttern (was in YaYas Fall nicht funktionierte, weil sie Nahrung einfach ablehnte. Ich habe ihr dann eine Art Smoothie gemacht aus Honigwasser, Welpenfutter und einem bisschen Leberwurst und Nux Vomica C30, und ihr das mit einer Spritze in die Backen gespritzt. Was sie dann mit Todesverachtung geschluckt hat).
Die Kleinsten sind ja oft die taffsten.
YaYa ist jetzt also angekommen. Mit einem Knall, aber so machen das hier ja fast alle.
Whow, was für eine Geschichte. Mehr kann ich grad gar nicht schreiben. Danke und YaYa ist ja umwerfend.
Theo/Max/Fritz/Harry/die schöne soverene Luise/Ida …
Ich wir kennen uns ewig …
Ich wünsche Dir viel Glück mit dem Wurm.
LG aus Berlin -Buch
Oh mein Gott…was für eine Geschichte…
Ich drücke die Daumen für diese super süße Wundermaus und komme jetzt öfter zum Lesen vorbei ❤️
Liebe Katharina,
vielen Dank dafür, dass Sie sich kümmern und helfen.
Sie haben das besondere Talent eine zutiefst traurige Geschichte mit soviel Herzenswärme und Humor zu erzählen,, dass ich gleichzeitig weine und lächle. Auch dafür vielen Dank und alles Gute.
Liebe Katharina,
ich kann mich hier nur anschließen, es ist jedes Mal so wunderbar Ihre Zeilen zu lesen! Denn Lachen und Weinen muss auch ich immer bei Ihren Geschichten!
Vielen Dank für Ihr Engagement und alles Gute!
wie schon bei Insta getippt: bei uns lebt seit ein paar Wochen auch ein Miniaturwesen – mehr als krank bei uns angekommen, geht es ihr mittlerweile viel besser. ABER, was mir aufgefallen ist und das passt n bisken zu Deinem Post: sie trinkt so gut wie nix. Scheinbar ein typischen Phänomen bei diesen MINIs. Bei uns gibst dreimal am Tag Futter (viel selbstgekocht, -gebacken) – morgens ist es trocken und das bekommt das Fiene „schwimmend“ also die Bröckchen in einer Wasserlache und sie schlabbert und knabbert alles brav auf.
Alles Liebe für Dich und die Felltiere! bimbi mit Nio, Souris, June, Leni, Fleur und Fiene
Wieder etwas gelernt, vielen Dank und weiter gute Nerven.
Grüße von Windsprite Henry an Ihre beiden SiWis.
Willkommen YaYa!
Liebe Katharina, ich liebe deinen Blog und deine Art zu schreiben! einfach nur toll, lass dich nicht verbiegen ♡
So eine süße Maus! Unsere sieht ganz ähnlich aus.