Meine Pudelhündin Luise betätigt sich regelmäßig als Besuchshund“ auf einer Sterbestation eines großen Krankenhauses. Als ich sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal ins Krankenhaus begleitete, war ich von den vielen Schläuchen und Maschinen um die einzelnen Patienten herum einigermaßen beunruhigt: Wie sollte der große Hund durch diese aufwändigen Gerätschaften hindurch navigieren, ohne irgendetwas zu beschädigen? Luise hatte sie da bereits vorsichtig zu einer Patientin durchgeschlängelt. Die Dame lag mit einem offenen Tumor im Bett, aber das interessierte Luise nicht – Hunden ist nichts peinlich, und körperliche Dinge finden sie niemals gruselig -, stattdessen setzte sie sich zu der Dame ans Bett und legte ihren Kopf auf das Laken. Falls ich damals noch etwas Bedenken vor dieser Aufgabe hatte, überzeugte mich das erschöpfte, aber glückliche Lächeln dieser Patientin sofort davon, dass meine Ängste hier einfach nicht das Thema waren.
Therapie- und Besuchshunde brauchen einige spezielle Eigenschaften: Sie müssen über Grundgehorsam verfügen und wirklich nervenstark sein und sollten über eine gute Motorik verfügen. Es hilft auch, wenn sie nicht alles persönlich nehmen: ein Hund, dem versehentlich im Krankenhaus weh getan wird und denkt, das wäre Absicht und auf ihn gemünzt gewesen, will das nächste Mal nicht mehr mitmachen.
Mein Nachwuchshund Gretel macht den Eindruck, als könne sie einmal in Luises Fußstapfen treten. Darum begleitete sie uns neulich zum ersten Mal für eine Stunde. Nichts Besonderes, aber sie machte ihre Sache gut für ihre zarten zehn Monate, war höflich, nicht nervös, liebevoll und vorsichtig. Auf dem Weg nach draußen sah ich im Eingangsbereich des Krankenhauses aus dem Augenwinkel zwei Frauen ganz still auf einer Bank sitzen. Es waren offenbar Mutter und Tochter, die Jüngere hatte ihrer Mutter den Arm um die Schultern gelegt. Gretel war plötzlich der Meinung, sie habe noch einen Besuch zu machen, bevor wir nach Hause gingen. Sie zog hinüber zu der Bank, setzte sich direkt vor die ältere der beiden Frauen und guckte sie aufmerksam an. Die ältere Dame begann, sie wie mechanisch zu streicheln – und fing dann auf einmal an zu weinen. Gretel legte ihr ihre Vorderpfoten auf den Schoß und legte den Kopf auf ihre Schulter. Die Dame umarmte Gretel fest, wobei tiefe Schluchzer sie schüttelten. Gretel hielt ganz still, legte sich nur einmal zurück, um die Tränen abzulecken. Ich sah die Tochter an, die das Ganze ruhig beobachtete, ihrerseits mit Tränen in den Augen, aber irgendwie wirkte sie erleichtert. Nach ein paar weiteren Minuten setzte sich Gretel wieder zurück und ließ die Frauen sie noch ein bisschen weiter streicheln. Ich nickte ihnen zu und ging mit den Hunden zum Parkplatz.
Niemand hatte während dieser Begegnung ein Wort gesprochen – was wäre denn zu sagen gewesen? Aber Gretel wusste, was in diesem Moment das Richtige war. Sie kümmerte sich.
Wenn ich mich mal wieder fragen sollte, ob sich der ganze Aufwand eigentlich lohnt – hier hatte ich die Antwort bekommen.