Einer der Nachteile des Lebens in der ländlichen Parallelwelt ist, dass das Internet nicht immer zuverlässig funktioniert. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen heutzutage, aber ich befinde mich glasfasertechnisch gesehen in einem „schwarzen Fleck“. So erklärte mir das vor ein paar Tagen jemand von vodafone, den ich wie ein Verdurstender in der Wüste anflehte, mir irgendwie zu helfen, und sei es über LTE.
Geht nicht. Der LTE-Mast ist voll besetzt, und bevor nicht einer der LTE-Nutzer stirbt, gibt es keinen neuen Platz. Bis die Telekom hier Kabel verlegt, bin ich weiterhin von meiner Satellitenschüssel abhängig, wenn ich ins Internet möchte (oder telefonieren). „Sans doch froh, dass Sie mal net erreichbar san“, erklärte mir der Bürgermeister, als ich ihm schon im letzten Jahr mein Leid klagte. Ich wies ihn darauf hin, dass ich mit meinem Beruf über fehlendes Internet ungefähr so froh sein könne wie ein Bauer, dessen Traktor kaputt ist.
Langer Klage kurzer Sinn: Das Internet war also schuld daran, dass ich so lange nichts von mir hören ließ. Ich konnte keine Fotos hochladen, und reine Buchstabensuppen wollte ich nicht veröffentlichen.
Vor ein paar Wochen wurde es Frühling, und dann wieder doch nicht. In den letzten drei Wochen sind wir übergangslos von Frühling zu Hochsommer zu Winter zu Frühling, Sommer und wieder Winter übergegangen. Gestern früh fand ich beim gärtnern ein gut verstecktes Nougat-Osterei, das Jack offenbar übersehen hatte und das den Nachtfrost schadlos überlebt hatte – im Gegensatz zu meinen Hortensien. Ich führe momentan einen verbissenen Kampf um meine Hortensien, die von allen Seiten bedroht werden zu scheinen: Gegen die erbarmungslose Hundepipi, die jede Hortensie sofort und auf der Stelle sterben lässt, habe ich sie dieses Jahr rechtzeitig und weiträumig mit einem Draht geschützt, aber nicht daran gedacht, ihnen abends noch Schlafmützen überzuziehen.
Vor drei Monaten vermittelte ich dem Nachbarsepp einen Schäferhundmischling, der acht Monate alt und entsprechend albern ist. Er wurde für ein dreizehnjähriges Mädchen angeschafft, die sich dann doch nicht so um ihn zu kümmern vermochte, wie es von den Eltern vorgesehen war, und so braucht er ein neues Zuhause. Max, wie er jetzt heißt, hat mit Sepp einen Jackpot erwischt: Schon nach einer Woche begleitete er den Traktor aufs Feld, als habe er sein Leben lang nichts anderes gemacht, blieb hoftreu zuhause, wenn Sepp ihn nicht mitnehmen konnte, und ließ sich von den Bullen den Kopf waschen. Seinerseits macht er ihnen jeweils Nasen und Augen sauber – ein echtes Win-Win-Verhältnis also.
Jeden Morgen kommt er vorbei, um sich mit meiner Truppe ein gutgelauntes Wettrennen den Zaun entlang zu liefern – was leider meiner mühsam im Herbst gepflanzten Hecke den Garaus machte. Meine Versuche, die toten Sträucher durch Fliederbüsche zu ersetzen sind bisher daran gescheitert, dass Rapunzel, mein neun Monate alter Tagesstätten-Barsoi (die in Wirklichkeit übrigens Iwasawa heisst, aber wer soll sich das denn merken?) fünfzehn Minuten später alles wieder ausgrub. Sie ist überhaupt sehr fleißig: Ihre Leidenschaft für Bücher hat sie mittlerweile überwunden, stattdessen interessiert sie sich jetzt als pubertierendes Mädchen vor allem für Schuhe. Ein Paar Stiefel hat sie komplett auseinander genommen, meine Cowboystiefel haben eindeutige Zahnabdrücke an der Spitze, meine samtenen Hausschuhe sind mittlerweile im Müll… Wieso, frage ich mich manchmal, liebe ich eigentlich ausgerechnet Hunde? Hühner haben doch auch was. Oder Fische. Die interessieren sich wenigstens nicht für Schuhe oder Literatur.
Wenn man von den über Nacht entstandenen Schneeflecken einmal absieht, ist der Frühling im Garten und außerhalb nicht zu übersehen. Alle Apfel-, Birnen und Kirschbäume blühen um die Wette, bis vorgestern summten Hummeln, Bienen und Wespen in der Luft, in der neben Blauregenduft das leichte Aroma von Gülle (oder Odl, wie man hierzulande sagt) liegt. „Der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“, beschrieb Mörike. Hier dagegen ist es eher ein dunkelbraunes, nasses Band, das auf den Feldern von den Traktoren hinterlassen wird. Barthl und Harry sind davon jedes Mal so begeistert, dass sie hinterherrennen, um sich nicht nur auf dem Feld in der frischen Gülle zu wälzen, sondern sich gleich darunter zu duschen. Kein Witz.
Anschließend wälzte Barthl sich auf der Wiese vor Sepps Wohnhaus – wie ich dachte: Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es eine kürzlich verstorbene Ratte war.
Was für eine sensationell gute Idee von mir, im Erdgeschoß ein Hundebad einzurichten.
Ich bin natürlich selber schuld: Ich könnte einfach die Freiheiten meiner Hunde ein wenig einschränken. Neulich meinte Sepp zu mir, „Die Rapunzel und der Max derfen nur no‘ unter Aufsicht miteinand spuin. Die kommen sonst auf die schiefe Bahn. Die Fahrbahn nämlich.“ Es stellte sich heraus, dass ein sehr großer Barsoi-Junghund und ein nicht minder stattlicher Schäferhund eben größere Kreise ziehen, als man so denkt, wenn sie spielen. Glücklicherweise weiß jeder, dass hier auf dem Münchberg (dem „Miniberg“, wie man hier sagt) unkontrolliert Hunde und Kleinkinder durch die Gegend rennen, und fahren entsprechend langsam.
Mir gefällt es gut, das meine Hunde ein gewisses Maß an Privatsphäre haben, ein Eigenleben. Sie haben trotzdem ein enges Band zu mir, liegen immer um mich herum, wenn ich arbeite, lassen sich auf jedes dusselige Spiel ein und behalten mich immer im Auge, wenn wir lange Spaziergänge oder spannende Ausflüge machen. Wir haben wenige, aber ganz bestimmte Regeln, die eingehalten werden müssen. So lange das klappt, finde ich es schön, wenn meine Hunde hier auf dem Miniberg von Hof zu Hof marschieren und hier ein bisschen Mist fressen, dort ein bisschen Mastfutter. Nur bei Jack musste ich einen Riegel, das heißt einen Zaun vorschieben, denn Labradore gehen nicht einfach spazieren, um sich die Gegend zu betrachten, sondern um den Gang mit Nahrungsaufnahme zu verbinden. Mir fiel das erst auf, als sein Taillenumfang sich merkwürdig veränderte: Jeden Morgen nach dem Frühstück bei uns marschierte er erst zu Sepp, wo er das herumstehende Trockenfutter für Max komplett verspeiste (und wenn er die Menge nicht schaffte, legte er sich davor und ließ den armen Max nicht mehr an seinen Napf – „er hält sich halt hier für den Hausherrn“, meint Sepp nur), anschließend spazierte er zu dem vorderen Hof und fraß das Katzenfutter von Rosis Katzen auf. Als ich ihn daraufhin hinter den Gartenzaun verbannte, war er mit dieser Regelung nicht einverstanden und walzte einfach unter dem Zaun durch. Ich kaufte mir einen sehr schicken, sehr großen Hammer und trieb stählerne Haken in den Boden, woraufhin er erst wütend den Zaun anbellte, der sich plötzlich nicht mehr hochheben ließ, und dann so lange dagegen donnerte, bis der Zaun doch nach- und den Weg freigab. Labradore sind wirklich ganz andere Kaliber als Windhunde, die Grenzen doch viel schneller akzeptieren.
Mittlerweile ist der Zaun so gesichert, dass ich jederzeit Vorträge über Sicherungsmaßnahmen in Jugendstrafanstalten halten könnte, und Jack hat seine Figur zurück.
Das Landleben tut uns allen gut. Es ist ein geradezu altmodisches Leben, das wir hier führen, mit freundlich grüßenden Auto- und Radfahrern, Joggern, die akzeptieren, dass die Hunde des Münchbergs sie zwecks Revierverteidigung kurz verbellen, und Geschäften, die es in größeren Städten kaum noch gibt, wie Kurzwaren- oder Schreibwarengeschäfte. Neulich trieb mich der Hunger in die Bäckerei im Obi-Baumarkt, als ich feststellte, dass ich nur 1 Euro 65 Bargeld bei mir hatte. Ich machte mich bei der Verkäuferin lustig, dass ich wie ein Kind nachfragen musste, „Was kriegt man für mein Taschengeld?“, als sie völlig selbstverständlich meinte, ich könnte auch gerne irgendwas anderes kaufen und das Geld einfach in den nächsten Tagen vorbei bringen. Ist das nicht unglaublich nett? Soooo vertrauenswürdig sehe ich nun auch wieder nicht aus.
Es ist zwar nicht ruhig, unser Leben mit dem vielen Besuch, andauernd kommt jemand vorbei oder taucht auf, den Seminaren mit fremden Menschen und Hunden im Haus – aber es ist übersichtlich und lässt ausreichend Raum, dem Trubel auszuweichen und sich auch wieder zu erholen. Die Hunde profitieren davon sehr: Barthl natürlich immer mittendrin – der kleine G’schaftlhuber kann es nur schlecht aushalten, wenn er nicht jeden begrüßen, betrachten und bespaßen darf. Er hält sich für den Zeremonienmeister und versucht bei Seminaren die ganze zeit, irgendwie in den Seminarraum zu gelangen – und sei es, dass er sich von hinten durch den Zaun quetscht, um die Hunde der Seminarteilnehmer kennen zu lernen. „Kennt der Hund eigentlich irgendwelche Grundkommandos?“ fragte meine Freundin Inga Böhm neulich, als sie hier ein „Jagdfieber“-Seminar gab und Barthl es sich nicht nehmen ließ, alle Anwesenden begeistert zu begrüßen und überhaupt nicht daran dachte, sich davon ablenken zu lassen.
Was für eine Frage! Natürlich kennt Barthl die Grundkommandos. Alle. Sie sind für ihn nur nicht so relevant.
Vor allem für Aslan scheint das Umfeld genau das Richtige zu sein. Das große Glück ist ja, dass er für einen extrem unsicheren Hund sehr neugierig ist. Will heißen: Selbst wenn er sich Besuch nicht unbedingt wünscht – vor allem keine großen Männer -, ist er doch viel zu neugierig, um nicht doch (unter Zittern und Beben) aus ganz freien Stücken an allem teilzunehmen, was hier geboten wird. Er ist mittlerweile ein selbstbewusster, frecher, unglaublich verspielter Hund geworden. Er ist auch eine Jagdsau, wie sie im Buche steht, aber glücklicherweise zeigt er jegliches Wild so deutlich an, dass ich diese Aufgabe nun ganz an ihn übertragen habe: Sein Job ist es auf unseren Spaziergängen, verstecktes Wild anzuzeigen, so dass ich Zeit habe, alle anderen anzuleinen. Zuhause ist er Nanos bester Buddy und Sparringpartner, während er zusammen mit Rapunzel im Sandkasten unglaubliche Krater baut, die direkt nach Peru zu führen scheinen (leider nicht in den Tresorraum der nächstgelegenen Bank).
Der Unterschied zwischen Aslan bei seiner Ankunft im Oktober und heute ist wunderbar: Er strahlt, er grinst, er hat einen hervorragenden Sinn für Humor, er verzeiht Fehler. Er ist außerdem unglaublich verschmust (was ihm viele, viele Punkte bei meiner Mutter eingebracht hat, die ja eigentlich jeden neuen Hund in meinem Haus für einen Beitrag des Teufels hält). Ganz neue Situationen sind zwar immer noch schwierig für ihn, aber schon beim zweiten Mal managt er das meiste hervorragend.
Auch Jack geht es ziemlich fabelhaft. Wir haben endlich etwas gefunden, was seine Arthrose-, HD- und Rückenprobleme in den Griff bekommen hat: Nach sämtlichen Pulvern, Naturheilmitteln, Medikamenten, die ich in Amerika besorgt hatte und Hopfenkapseln aus England, ist das, was ihm zuverlässig hilft, sehr niedrig dosiertes Kortison. Seither hopst und springt er wieder durch die Gegend, sein Bandscheibenvorfall im Winter hat sich beruhigt, alle Entzündungen sind abgeklungen – so sei es also drum. Was hilft es, wenn sein Leben mit natürlichen Mitteln vielleicht etwas länger dauern würde, er aber keine Lebensqualität hat? Jetzt kann er wieder mitmachen, betätigt sich als Schlichter und Schiedsrichter, geht dazwischen, wenn Aslan oder Rapunzel (vermeintlich) zu grob mit Barthl spielen, und amüsiert sich wie Bolle, wenn wir einen Ausflug zum Strand im Inn machen.
Wissen Sie noch, wie er aussah, als er im letzten August hier ankam? Ganz abgesehen von seiner schrecklichen Hautgeschichte, hatte er solche Schmerzen und fühlte sich so schlecht:
Jetzt dagegen sieht er so zufrieden und selbstbewusst aus, dass es kaum zu glauben ist, dass es der selbe Hund ist:
Ansonsten ist alles wie immer: Ich schreibe ein neues Buch (und versuche übrigens in den ungenutzten Stunden der Nacht, mein „Huhn“ als Hörbuch einzulesen), mache so viel Unsinn mit meinen Hunden, wie es nur geht, und freue mich über jeden neuen Tag.