Plötzlich Herbst

Von einem Tag auf den anderen ist dieser unglaubliche, heiße, satte bayerische Sommer vorbei. Warum das so ist, werde ich nie verstehen: Im Frühjahr kündigt sich der Sommer langsam an, immer wieder wechseln sich warme und kühle – und kalte!! – Tage ab. Der Sommer dagegen endet immer mit einem Schock: Von schwülen 30 Grad, bei denen einem das T-Shirt am Körper klebte, zu Regengüssen und plötzlichen 12 Grad 😯 : Kein Spaß. Eines Morgens wacht man auf und bemerkt, dass es draußen anders riecht – nicht mehr nach Italien, sondern eben nach Herbst, dieser leicht modrige Geruch feuchter Erde und dem noch warmen Boden, der auf kalte Luft trifft. Dabei ist der September so ein wundervoller Monat – es ist immerhin Erntezeit, im Garten hängen noch Äpfel und rote, süße Himbeeren, der Mais ist reif, überall hängen die Sträucher brechend voll – Weißdorn, Eberesche, Berberitze und knallig-rote Hagebutten an den Wildrosen. Überall wird noch gemäht, hinter dem Ladewagen schleudert das Odelfass seine braune Brühe auf die rasierten Felder. Auf den im Sommer gemähten Feldern steht schon wieder knöchelhoch der Klee – und damit auch die Rehe, die noch dazu mit ihrem leuchtend roten Sommerfell wunderbar sichtbar sind – auch, wenn man nicht die scharfen Augen des Windhundes hat. Ich muss zugeben, dass mich ihr Anblick nur noch halb erfreut, weil ich mit meiner Horde (oder Herde?) in echte Management-Anforderungen gerate (und es ist dann Barthl, der feuerrote kleine Brandstifter, der sich rasend schnell ins Feld wirft und alle anderen Hunde irre macht).

Werbeanzeige

Zur Entspannung mache ich nun in Hühnern. Seit drei Wochen leben hier sechs Zwerg-Seidenhühner, und wenn ich gewusst hätte, wie entspannend Hühner sind, wäre mein Leben völlig anders verlaufen. Das Backhaus habe ich in den Hühnerstall umfunktioniert und einen so gesicherten Auslauf daran gebaut, dass ich die Architekten jeder Strafanstalt gut beraten könnte. Seidenhühner können aufgrund ihrer Federstruktur, die an Kaninchenfell erinnert, nicht fliegen, weshalb der Zaun gar nicht hoch sein muss – nur hoch genug, dass Barthl nicht zu ihnen kann. Er tut zwar immer ganz liebevoll und verspielt, aber wenn man ihn genau beobachtet, bekommt das Wort „Foodwatch“ eine ganz neue Bedeutung.

Von links nach rechts: Camila, Ingrid, Hühnchen, Stefan und Grantel

Hühntertopf

Foodwatch

Den anderen Hunden sind die Hühner relativ egal.Jack und Harry sind nur beunruhigt, wenn sie das Gefühl haben, die Hühner bekommen irgendwas zu fressen, was sie selbst gut gebrauchen könnten, Rapunzel würde mit ihrer langen Nase gerne mal auf so ein Hühnchen draufdrücken, und Aslan findet es irgendwie schick, wenn die Hühnchen flattern – aber mittlerweile machen sie das nicht mehr.

Bibo

Hühner gewöhnen sich schnell an neue Situationen. Anders als Hunde, übrigens. Meine Hunde haben sich noch immer nicht an den Anblick der Rehe am Waldrand gegenüber gewöhnt. Ganz egal, dass diese Rehe ungefähr zweieinhalb Kilometer entfernt sind: Sie sind sichtbar. Und solange Wild sichtbar und beweglich ist, glaubt der Windhund, eine deutliche Reaktion sei gefragt.Hühner dagegen fänden das nicht, wenn sie sich auch nur ansatzweise für Rehe interessieren würden.

Wirklich unglaublich war übrigens der Geflügelmarkt, auf denen ich meinen Seidenhühnern begegnete: Eine ganz und gar eigene Welt.

Geflügelmarkt in Brüning

Hühner, so ungeahnt schön wie aus einem englischen Gemälde, Jungens, die ihre Kaninchen oder Stallhasen verkauften, Wachteln, riesige Hähne in engen Reisekäfigen aus Holz, tief schlafende Laufenten auf dem Arm ihrer Besitzerin, die einen seltsam verformten Körper hatte, viel zu große Lippen für ihren Mund, ihr Gesicht und einen unförmigen Unterleib. Aber als ich anfing, mit ihr über Laufenten zu sprechen, veränderte sich ihr Gesicht, sie wurde lebhaft, ihre Bewegungen schnell und jugendlich, und sie erzählte mit Wärme und

Perlhühner

liebevollem Humor davon, wie fröhlich Laufenten seien. Daneben wieder andere, hinreißend schöne Hühner, ein Gold- und sogar ein Diamantfasan – und in einem geschlossenen Gebäude dann Tauben, Kanarienvögel und einzelne Hähne. Wenn man die Treppe hinaufstieg, kam man an einem Schwarzen Brett vorbei, an dem Anzeigen des Geflügelzuchtverbands hingen, ein Zettel für frisch geschlüpfte Landschildkröten, für Bayerische Gebirgsschweißhunde und junge Rothirsche. Lebend. Ich gebe zu, dass ich einen Moment überlegte, ob ich nicht vielleicht einen Rothirsch… Nein. Natürlich nicht. Ich bin ja nicht verrückt.

Wachteln

Der Züchter mit den Zwerghühnern stand mittendrin. Seiner Hühner waren hinreißend und wurden ihm praktisch aus der Hand gerissen: Ich konnte gar nicht so schnell blinzeln, wie die Hühnchen verkauft wurden, in allen Farben, mit und ohne Bart, bloß konnte man bei den wenigsten erkennen, ob sie Hühnchen oder Hähnchen waren. Ich nahm ein rotes, zwei weiße und ein blaues Huhn mit braunen Federn am Hals (das nennt man wildfarben), steckte sie in einen Karton, kaufte noch einen riesigen Jutesack voller altem Brot und 30

Kilo Karotten für die Pferde vom Nachbarsepp, und fuhr wieder nach Hause mit den Hühnern im Gepäck, die ganz leise vor sich hinpiepten und es in dem Karton offenbar gar nicht so schlecht fanden: Jedenfalls benutzen sie ihn bis heute, drei Wochen später, immer noch als Schlafzimmer bei Nacht. Inzwischen sind sie zu sechst und legen sich wie frische Semmeln wohlsortiert zusammen in die Schachtel, sobald es dämmert. Wahnsinnig süß.

Von den Nachbarn habe ich einen sensationellen Schafstall mit Hühnerabteil bekommen (ich habe wirklich ausschließlich wunderbare Nachbarn. So eine Art Melrose Place mit Erwachsenen auf bayrisch). Den habe ich nun lasiert, damit die Hühner dort einziehen können – falls sich herausstellt, dass die meisten von ihnen doch Hähne sind und etwas umsortiert werden müssen. Aber bisher glaube ich ja daran, dass sie lernen können, einander lieb zu haben, egal, welcher Farbe und welchen Geschlechts sie sind. Bis dahin glaube ich ganz fest an ein multikulturelles Miniberg, wo jeder jeden liebt, egal, welchen Geschlechts oder Farbe er ist, woher er kommt (Ingrid entstammt laut Züchter einem schwedischen Ei, Bibo und Grantel sind ur-bayrisch, und Hühnchen, Stefan und Camilla haben eine Mutterhenne aus Teschechien. Nano und Aslan sind Spanier, Pixel und Harry Amerikaner, Gretel kommt aus dem Osten Deutschlands, Barthl aus Limburg, Jack aus dem Saarland, und Rapunzel aus Litauen).

Und wenn die Hähnchen kein Ferienhaus brauchen, dann wird sich schon irgendwer finden, der in das Schafhaus einzieht, denke ich mal. Ich bin da ganz zuversichtlich.

Und dann – tadaaaa – war zwischendurch Amali hier zu Besuch. Sie war wie immer, sehr süß, sehr weiß, sehr zickig und sehr fröhlich. Sie war gleich wieder „da“, als wäre sie gar nicht weg gewesen, und gleichzeitig war ganz offensichtlich, weshalb ich mich entschieden hatte, ein Prinzessinnenleben ohne Nebenbuhler für sie zu finden: Sie freute sich über Nano, aber alle anderen schienen ihr überflüssig, wenn nicht gar: Überzählig, und war auch nicht so richtig nett zu ihnen. Und das hat mich wirklich gefreut und erleichtert, denn ich weiß nun also genau, dass es die richtige Entscheidung war, sie in ein „Einzelzuhause“ ziehen zu lassen, die kleine weiße Gurke. Sie gehört zu den Hunden, die möglichst alle Aufmerksamkeit für sich haben wollen, und andere Hunde findet sie nur so lange amüsant, wie deren Aufmerksamkeit sich auf sie bezieht, sie mit ihnen spielen möchte oder die eine super Idee haben. Ansonsten ist sie auch sehr froh, wenn sie wieder ihre Ruhe hat und ihre Mama – und deren Bett! – ganz für sich allein.

So schwer es manchmal ist, einen Hund, den man liebt, wieder abzugeben, so richtig ist es manchmal, keine Frage. Die Schwierigkeit ist, sich das einzugestehen: Nicht immer haben die betroffenen Hunde deutlichen Stress, nicht immer merkt man es ganz offensichtlich. Nur an kleinen Dingen – ein anderer Hund steht auf und verläßt den Raum, wenn der Hund herein kommt, oder alle stehen vom Bett auf, wenn der Hund sich dazu legen möchte. Oder einzelne Hunde der Gruppe ziehen sich immer mehr zurück – es gibt verschiedene Anzeichen, auf die man achten muss, zumal, wenn man eine große Gruppe führt. Zur Liebe zu Hunden gehört auch dazu, sie gehen zu lassen, wenn man nicht der allerbeste Platz für diesen speziellen Hund ist.

In menschlichen Beziehungen wäre das auch schön, aber wohl zu viel verlangt – zumindest von denen,  die das „Loslassen können“ nicht über Jahrzehnte an Hunden und anderen Tieren üben durfte.

 

Teilen Sie diesen Beitrag!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert