Wissenswertes übers Wasserlassen

In München tobt das Oktoberfest, was für mich und viele meiner Mitbürger Anlaß sein sollte, über das Urinier-Verhalten unserer männlichen Mitmenschen nachzudenken. Wer in diesen Tagen um die Theresienwiese herum mit seinen Hunden spazieren gehen musste, fand keinen Baum mehr, der gerade nicht besetzt war. Und zwar von Zweibeinern, auch wenn sie eigentlich besser vorangekommen wären, wenn sie sich auf allen Vieren fortbewegt hätten. Wenn Männer sich in aller Öffentlichkeit erleichtern, schnalzt nie einer auch nur missbilligend mit der Zunge, sondern sieht nur diskret woanders hin. Während an mir gestern eine Dame schimpfend vorbei ging, als mein Windspiel Fritz mit sportlichem Schwung sein Bein an einem Baum hob. Mir ist nicht klar, wie ich Problem lösen könnte, ohne eine Suppenkelle zu zweckentfremden. Bei den Pudelmädchen würde das vielleicht funktionieren, die wirklich nur pieseln, wenn sie pieseln müssen. Harry und Fritz dagegen, meine kleinen Reservehunde, pieseln praktisch die ganze Zeit. Das liegt daran, dass das Leben von männlichen Hunden dem ständigen Streben nach effektivster Demonstration ihrer männlichen Überlegenheit ausgerichtet ist. Wissenschaftler glauben, dass Hunde deshalb den Mond anheulen, weil sie (die Hunde) (vielleicht auch einige der Wissenschaftler) traurig darüber sind, dass er zu hoch hängt, um daran zu pinkeln.
Wenn männliche Hunde sich treffen, beschnüffeln sie sich einen Moment, sprinten dann männlich-breitbeinig zum nächstliegenden Baum, um diesen zu markieren, beschnüffeln einander dann erneut und stolzieren wieder zum nächsten Pfahl, hin und her – zwei urinversprühende Testosteron-Tornados, die beide felsenfest davon überzeugt sind, sie seien der größte, gemeinste Hengst auf dem ganzen Planeten.
Will heißen: Für Männer hat Pinkeln eine Bedeutung, die weit über das gewöhnliche Bedürfnis nach Wasserlassen hinaus geht. Es hat mit Männlichkeit zu tun. Es ist ein wichtiges territoriales Statement. Frauen ahnen nicht einmal von der Last solcher Probleme, weil sie auch in öffentlichen Toiletten immer Zuflucht in kleine Kabinen nehmen können, während Männer derlei Privatsphäre nicht zur Verfügung haben.
Jedes Mal, wenn ein Mann eine öffentliche Toilette betritt, wird er mit einer kritischen Frage konfrontiert: Welches Urinal soll er verwenden? Sein Ziel ist es, tunlichst zu vermeiden, direkt neben einem anderen Anwesenden zu pinkeln, um nicht in dessen Territorium einzudringen. Wäre die Welt gerecht, wären Männerklos dementsprechend 40Meter lang. Ist sie aber nicht, also besteht immer die Gefahr, direkt neben jemandem stehen und pinkeln zu müssen, was bedeutet, dass Männer oft im Bruchteil einer Sekunde wichtige strategische Urinal-Entscheidungen treffen müssen: Wenn sie allein sind, werden sie das Urinal ganz rechts oder ganz links wählen. Der Nächste, der herein kommt, wird sich nonchalant das am weitesten entfernte Urinal aussuchen. Der Dritte, der hereinkommt, wird entweder so lange vor dem Spiegel herummachen, bis einer der beiden anderen gegangen ist, oder sich in die Mitte stellen, genügend Abstand vorausgesetzt. Alle drei werden starr nach vorne sehen, als gäbe es auf den Kacheln vor ihnen etwas besonders Interessantes zu lesen. „Tod bei Augenkontakt“ wäre ein angemessenes das Motto für öffentliche Herrenklos.
Was ich sagen will: Ab einem gewissen Alkoholpegel sinkt bei Männern das strategische Denkvermögen. Sie sehen sich außerstande, die Urinalregeln in angemessenem Zeitrahmen ordnungsgemäß einzuhalten.
Und deshalb die Bäume. Anders kann ich mir das jedenfalls nicht erklären.

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aus: BILD am Sonntag vom 4. Oktober 2009

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