Ich würde nicht beschwören, dass meine Hunde ein ordentliches Steak einer Portion Pommes wirklich vorziehen. Das ist, wie ich seit ein paar Tagen weiß, auch gar nicht mehr so schlimm: Da wurden neue Forschungsergebnisse eines schwedischen Genetiker-Teams veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Hunde sich im Laufe der Jahrtausende ein Verdauungssystem angeeignet haben, das mehr Variationen verträgt und braucht, als das ihres direkten Vorfahren, des Wolfes.
Die Lieblings-Behauptung der Premium-Hundefutterindustrie und der extrem-BARFer, in jedem Hund stecke nun mal ein Wolf, denn seit Tausenden von Jahren sei der Hund genetisch vom Zahn bis zum Verdauungstrakt mit dem Wolf identisch und auf Fleisch ausgelegt, ist damit widerlegt.
“Auf dem Weg vom Wolf zum Hund hat sich alles verändert“, bestätigt auch Dr. Dorit Feddersen-Petersen, die bekannteste und bedeutendste Verhaltensbiologin Deutschlands. Kein Organ ist gleich geblieben, selbst das Hautwachstum hat sich im Laufe der Domestikation gewandelt. Der Hund ist ein domestizierter Wolf, aber die beiden sind so extrem verschieden, dass man nicht immer mit dem Wolf ankommen sollte, wenn man über Hunde spricht. Domestikation ist ein tiefgreifender, genetischer, verändernder Prozeß.“
Die Veränderung vom Mitglied im Wolfsrudel zum Familienmitglied beinhaltete mehr als sich das Talent anzueignen, sich mit dem Menschen zu verstehen, sagt der Genforscher Erik Axelsson von der Universität in Uppsala, Schweden. Er und seine Forschergruppe verglichen die DNA von Hund und Wolf um herauszufinden, welche Gene wichtig für die Domestizierung waren. Dabei fanden sie Gene, die an der Entwicklung des Gehirns, des Nervensystems und des Fett- und Stärkestoffwechsels beteiligt sind. Genomunterschiede also, die zum einen zur Erklärung der geringeren Aggressivität des Hundes verglichen mit dem Wolf dienen könnten und zum anderen auf einen veränderten Verdauungsmechanismus hinweisen. Die Forscher fanden heraus, dass Hunde Kohlehydrate und pflanzliche Nahrung deutlich besser verdauen können als der Wolf.
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature11837.html
Die Forschungen wurden von einer unabhängigen Gruppe Genetiker, und zwar Evolutionsforscher durchgeführt: Es stand kein Lebensmittelkonzern dahinter, um Verschwörungstheorien gleich vorzubeugen. Leiter der Studien war der Genetiker Erik Axelsson (Science for Life Laboratory, Department of Medical Biochemistry and Microbiology, Uppsala University, 75237 Uppsala, Sweden), in Zusammenarbeit mit Broad Institute of Massachusetts Institute of Technology, die Harvard Universität in Cambridge, Massachusetts, die Grimsö Wildlife Research Station, Department of Ecology, die schwedische Universität of Agricultural Science, und dem Department of Forestry and Wildlife Management, Faculty of Applied Ecology and Agricultural Sciences, Hedmark University College in Norwegen).
Insgesamt wurden beim Hund 30 Kopien des Gens für Amylase entdeckt, dem Protein, das die Aufspaltung von Stärke im Verdauungstrakt beginnt. Wölfe verfügen dagegen nur über zwei dieser Gene, eines auf jedem Chromosom. Eine bestimmte Variante des Gens für Maltase-Glukoamylase, ein Enzym, das für den weiteren Abbau der Stärke notwendig ist, fanden die Wissenschaftler sogar ausschließlich im Genom der untersuchten Hunde. Das durch diese Variante kodierte Enzym wurde in einer vergleichbaren Ausprägung bisher lediglich bei Pflanzenfressern wie Hasen und Kühen oder Allesfressern wie der Ratte gefunden – nie jedoch bei Fleischfressern.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Hund Stärke – dem Hauptnährstoff in Getreide wie Reis oder Weizen – um ein Fünffaches besser verdauen kann als der Wolf. Die Domestizierung vom Wolf zum Hund ging offensichtlich insbesondere mit einer Umstellung auf stärkehaltige Nahrung einher. Das Forscherteam betont, dass diese Entwicklung beim Menschen und seinem besten Freund anscheinend sehr ähnlich war. Die Anzahl der Kopien dieser Gene variiert nämlich auch bei Menschen: Jene, deren Ernährung vor allem hoch in Kohlehydraten ist – wie Japaner, Europäer oder westliche Amerikaner – besitzen mehr dieser Kopien als Menschen, die sich stärke-arm ernähren, wie etwa die Mbutis in Afrika. Und Auch wir Menschen haben uns auf sehr ähnliche Art den drastischen Veränderungen angepasst, seit sich die Landwirtschaft entwickelt hat“, sagt Axelsson. So, wie der Europäer aufgrund seiner evolutionären Entwicklung andere Ernährungs-Bedürfnisse hat wie der Neanderthaler (der schlicht sterben würde, wenn er sich so ernähren würde, wie wir heutzutage) oder auch nur ein Asiate – um auf der gleichen evolutionären Zeitschiene zu bleiben -, mit dessen Ernährung Europäer langfristig nicht zurechtkommen, und umgekehrt.
Der Hund ist – anders als der Wolf – keineswegs in erster Linie ein Fleischfresser. Ein Wolf würde auf Dauer bei einer Ernährung mitn einem Anteil von 50% Fleisch & 50% Kohlehydrate nicht überleben können. Ein Hund durchaus – und das auch sehr gut. Das bedeutet nicht, dass man seinem Hund ab heute nur noch Reisbrei zu fressen geben sollte. Es heißt nicht, man dürfe ihn statt einer ausgewogenen Fleisch-Getreide-Gemüse-Ernährung oder einem hochwertigen Trockenfutter mit Schokoriegeln ernähren. Es bedeutet nur, dass der Hund durchaus und sehr gut mit Kohlehydraten leben kann, die der Wolf nicht vertragen kann.
Der Evolutionsbiologe Robert Wayne, der an der University of California in Los Angeles Hunde erforscht, ist hocherfreut über die von Axelsson veröffentlichten Forschungsergebnisse. Er wird häufig von Hundehaltern um Rat gebeten, die wissen wollen, ob sie ihre Hunde, wie Wölfe, vornehmlich mit Fleisch ernähren sollen, und ob Getreide schädlich sei für Hunde. Die Ergebnisse von Axelssons Studien beweisen, dass Hunde anders sind als Wölfe und eine ‚wolfartige‘ Ernährung ihnen nicht entspricht.“, sagt er. „Hunde und ihre Ernährungsweise haben sich gleichzeitig mit dem Menschen evolutionär entwickelt.“
Tolle Seite.