Wie ein Micro-Taschenhund nach Bullerbü zog
Ich bin leider sehr anfällig, wenn man mich um Hilfe bittet – obwohl ich strenger werde: Wer immer hier einziehen will (oder soll), muss einfach in die Gruppe passen, sonst wird es für alle Beteiligten anstrengend. Und er muss handlebar sein, ins Auto passen, von der Größe so, dass ich trotzdem noch alle anderen Hunde an der Leine führen kann, wenn’s denn sein muss, darf sich von Rehen nicht beirren lassen und nicht besonders laut sein (weil ich Kläffer nicht aushalten kann).
So ein Hund ist gerade hier eingezogen. Violetta stammt aus dem bulgarischen? rumänischen? Hundehandel und wurde Ende vergangenen Jahres nicht etwa als Welpe in einem Karton und ungeimpft über die Grenze verbracht, wie das neuerdings üblich ist, sondern perfider: Um die strengen Impfkontrollen zu umgehen, wurden die mittelalterlichen, hochträchtigen Mütter ins Auto gestopft und sollten in Deutschland werfen – und die Mütter wären dann gleich mitvertickt worden.
Ein aufmerksamer Grenzpolizist fand es aber seltsam, dass drei ihrerseits etwas räudig aussehende Männer mit vier kugelrunden Chihuahuas verreisen wollten, und sah sich die Impfausweise genauer an. Die waren so miserabel gefälscht, dass er sie schon wegen Verdummung am liebsten verhaftet hätte (leider geht das hierzulande nicht), außerdem fiel dem Mann auf, dass die vier Hündinnen sehr dick aussahen. Sie wurden also beschlagnahmt und aufgrund ihres Zustands sofort auf Pflegestellen verteilt, wo sie allesamt am Tag darauf ihre Welpen bekamen.
Wir unterstützten die Pflegestellen mit unserem Futter – schon, damit die allesamt über neun Jahre alten Hündinnen sich irgendwie erholen konnten -, und als die Kleinen soweit waren, bekamen sie unser Welpenfutter. Alle Pflegestellen machten einen phänomenalen Job, so, wie man sich das von Züchtern wünschen würde; die Welpen wurden von den anwesenden Kindern so viel hochgenommen, bespielt, abgeknutscht und bespasst, dass sie allesamt ein Nervenkostüm aus Stahlseilen haben, sie wurden mehrfach entwurmt, auf Wickelunterlagen (= Pipi-Pads) geprägt und als es dort einmal für vierzehn Sekunden schneite, wurden alle Welpen sofort auf den einen Schneefleck im Garten verräumt, damit sie sich an den kalten Untergrund gewöhnen konnten. Die Mütter, die offensichtlich das erste Mal in ihrem ganzen Leben Platz zur Aufzucht ihrer Welpen hatten, spielten wie verrückt mit ihrem Nachwuchs (obwohl sie alle, wie gesagt, ca. 8, 9 oder sogar zehn Jahre alt waren) und erholten sich mithilfe des Futters und der vielen Aufmerksamkeit im Nullkommanix (ich bin immer wieder sprachlos, wie resilient Hunde sind: Da lebten diese Hündinnen jahrelang in Meerschweinchenkäfigen, wurden zweimal jährlich belegt, schlecht gefüttert und in ihrer eigenen Kacke gehalten: Aber wenn man ihnen sechs Wochen lang Liebe, Wärme, gesundes Futter und Geborgenheit bietet, verwandeln sie sich in salonfähige kleine Wunderhunde. Das haut mich jedesmal wieder bei allen Hunden um, die aus schlechter Haltung, dem Tierschutz oder von der Straße kommen).
Aus der Hölle in eine Bilderbuchkinderstube also. Dann wurden die Welpen zur Vermittlung freigegeben, die neuen Zuhause wurden sorgfältig ausgesucht, und die Welpen zogen aus. und weil man den Menschen nicht hinter die Stirn blicken kann, ging die eine oder andere Vermittlung in die Hose. Was die Gründe waren, klingt immer gleich: Die Katzen vertrugen sich nicht mit dem Hund, der Partner wollte doch lieber einen großen Hund, der Hund brauchte ein paar Tage, um das Konzept der Stubenreinheit zu verstehen, das Hundefutter roch zu sehr nach Hundefutter, das Hündchen schlief nachts nicht durch und das war nervlich einfach zu viel verlangt.
Und da kam ich ins Spiel, weil man mich ja alles fragen kann, mir fast immer Lösungen zu allem einfallen und mir Hunde, die blöde Besitzer haben, immer so unendlich leid tun.
Nun ist Violetta also da und so unfassbar klein, dass ich mich kaum beruhigen kann. Sie ist kleiner als meine Schuhe (auch wenn ich zugegeben ziemlich große Füße habe), sie ist viel kleiner als Yoda und nicht einmal halb so groß wie Barthl. Sie ist kleiner als Ludwigs Kopf und so winzig, dass Rapunzel lieber nichts mit ihr zu tun haben möchte, falls Violetta ihr zwischen die Füße geraten sollte.
Ob sie sich mit Katzen versteht, kann ich nicht beurteilen; die Hühner, die ihr allesamt turmhoch überlegen sind, interessieren sie überhaupt nicht. Sie ist ein taffer kleiner Hund, der sich so gut wie nie irrt, was die Piesel-Pads betrifft (einmal hat sie versehentlich einen kleinen Teppich mit einer Wickelunterlage verwechselt, aber das sei ihr verziehen). Sie weckt mich jede nacht um halb drei, weil sie aufs Klo muss, und schläft danach sofort entspannt weiter. Sie hat sich alle Spielsachen in diesem Haushalt unter den Nagel gerissen, auch solche, die sie ihr Lebtag nicht apportieren können wird, weil viel zu groß: Egal. Violetta kennt keine Hindernisse, sie kann klettern. Beim Spazierengehen sitzt sie vorne im Anorak (ich binde mir extra einen Gürtel um den Oberkörper, damit sie nicht unten durchrutscht), besteht aber darauf, immer wieder kleine Strecken zu laufen.
Hochinteressant ist es, wie andere Leute auf diesen Winzel reagieren: Im Supermarkt kann ich mitnichten in Ruhe die Gänge auf und ab gehen: Die Leute mustern mich und bekommen einen verzückten Augenausdruck, wenn sie an meiner Körpermitte hängen bleiben, den ich schon lange nicht mehr erlebt habe (das letzte Mal, als ich ungefähr 35 war), und ich will ja nicht angeben ´, aber: Es fällt ihnen schwer, die Hände von mir zu lassen. Ich nehme es nicht persönlich. Violetta sieht ein bisschen aus wie eine Meerkatze, das Äffchen von Pippi Langstrumpf. Sie trägt auch ähnlich winzige, selbstgestrickte Pullover, weil sie ja doch sehr bodennah ist und ich Welpen mit Blasenentzündung problematisch finde. Sie trägt die Modelle, die ihr Freundinnen in Windeseile und mit Liebe handgestrickt haben, mit Fassung (wenn schon nicht mit Würde).
Die anderen Hunde sind so perplex über Violettas Winzigkeit, dass sie nicht wissen, was sie it ihr anfangen sollen. Yoda, die in ihrer Vergangenheit selbst häufig geworfen hat, kümmert sich ein wenig stiefmütterlich um sie, wenn’s sein muss. Bounty findet sie blöd und nimmt ihr jedes Spielzeug weg, dass Violetta überhaupt nur ansieht („Das kannst du nicht haben! Das auch nicht! Und das brauche ich auch noch! Dafür bist du sowieso viel zu klein! Lass‘ das!“). Barthl erbarmt sich ihrer und spielt manchmal ganz vorsichtig mit ihr, aber nur, wenn ich nicht hinsehe, und läßt sie im Arbeitszimmer immerhin mit ihm zusammen in seinem Bett schlafen. Ludwig hält sich zurück (für ihn muss ein Welpe erst einmal mindestens vier Monate alt sein, bevor er ihn als Hund erkennen kann), Alfie tut einfach so, als wäre sie nicht da. Was sie sich allerdings nicht gefallen läßt: Wenn sie versehentlich angestupst wird, wird sie schnell zur Furie. Ebenso wenig Verständnis zeigt sie, wenn einer der erwachsenen Hunde mal nachsehen möchte, was sie denn da so (und öfter als die anderen) in ihrem Napf hat: Sofort verwandelt sie sich in einen feuerspuckenden Zwergdrachen.
Komisch, oder? Nachdem ich jahrzehntelang am liebsten große Hunde hatte, stapeln sich hier jetzt plötzlich die Klein- und Kleinsthunde. Das Bild, wenn cih mit allen spazieren gehe und sich der Microhund wie selbstverständlich unter die Riesenpfoten mischt, muss unbeschreiblich sein. Aber meine Nachbarn sind mittlerweile Einiges von mir gewohnt: Allein die schiere Anzahl von Hunden, die Spaziergänge mit Schafen oder Ziegen an der Leine, die Autofahrten zum Pflegeheim mit dem Ziegenbock, der den Kopf aus dem Fenster streckt – warum nicht auch noch ein Zwerghund. Der interessiert sich wenigstens nicht für Fuchs, Reh und Hase.
So liebevoll geschrieben, ich kann es wieder voll nachfühlen, wie die Kleine sich bei Dir einlebt.
Da musste ich nun doch schmunzeln: alles anders als bei uns 🙂 Wir haben als Pflegestelle für Kleinst- und Kleinhunde angefangen und sind nun bei Pointer und Galgo gelandet 🙂
Das ist wirklich sehr lustig: Verkehrte Welt, sozusagen.
Wie immer ein Spitzentext: rührend,witzig und liebevoll!!!! Ganz viel Glück und Gesundheit für die Minimaus, ihr Rudel und für Sie, liebe Katharina.
Sie ist aber wirklich der hübscheste Chihuahua, den ich je gesehen habe (allerdings hab ich noch nicht viele gesehen).
Ich freu mich für den Winzling, dass er / sie / es ;0) ein so gutes Heim gefunden hat. So wichtig.
Alles Gute auch in diesem verrückten, neuen und noch jungen Jahr
für Sie & Ihre großen und kleinen Vierbeiner
wünscht von Herzen
Sandra T.
(deren vierjährige Pointer-Mischlingshündin aus dem Tierschutz ihr gestern Abend von jetzt auf gleich gesundheitlich ordentlichen Kummer gebracht hat – aber wird schon wieder. Immer Optimist bleiben.)