Er ist, wie natürlich alle bemerkt haben, noch immer hier. Keine Ahnung, wieso: Er ist wunderschön, gehorcht gut, ist hinreißend zu Kindern, macht alles mit und fürchtet sich vor nichts. Außer vor Schäferhunden. Aber irgendeinen Piepvogel muss man ja schließlich haben, sonst wird’s unheimlich.
Nano hat sich großartig eingelebt im zivilisierten Leben. Die winzigen Zwillinge einer Freundin von mir fand er im Alter von zwei Wochen ein bisschen gruselig (besonders „menschlich“ sind sie in dem Alter ja auch noch nicht). Mittlerweile sind die beiden zehn Wochen alt, und durch regelmäßigen Kontakt kann er sie besser einordnen. Er überwacht sehr konzentriert, wenn sie gewickelt werden (ist den anderen Hunden völlig egal, aber die sind ja auch Kinderbetreuungs-Profis) und findet spannend, dass sie sich mittlerweile viel mehr bewegen, aber er kann noch nicht genau begreifen, wozu diese kleinen Dinger gut sein sollen (sie werfen noch nicht mit Essen, tragen keine Kekse in Nasenhöhe durch die Gegend und können noch nicht streicheln). Als ich dann allerdings mit dem einen der Babys in den Garten ging, hopste er begeistert um mich herum und stupste mich immer an: Er dachte, ich würde ihm das Baby jetzt werfen. Ich meine, ganz ehrlich: Was soll man aus Hundesicht denn auch sonst damit machen?
Ich glaube, dass er knapp über einem Jahr war, als er im März hier einzog; mittlerweile ist er mitten in der Junghundephase. Warf er sich anfangs beim ersten Pfiff direkt herum, um in meine Arme zurückzukehren, nimmt er sich mittlerweile deutlich mehr Zeit zu gehorchen: „Ja-ha, glei-heich“ scheint er zu sagen oder „Jaaaaaa, Moment, ich muss erst noch was Wichtiges machen!“ Pixel und er spielen und spielen und spielen und spielen. Gretel will manchmal mitspielen und wedelt dann mit irgendwelchen Spielsachen vor Nanos Nase herum, bis er endlich anbeißt. Dann ziehen und zerren Nano und Gretel mit wildem Geknurre an dem Spielzeug, was wiederum Pixel nicht gefällt, denn Nano ist sein Spielhund, weshalb er anfängt zu bellen. Was Fritz empört, denn der hat’s gerne ruhig und bellt dann auch, damit die anderen ruhig sind.
Weshalb mein Lieblingshund momentan Harry ist. Der ist hübsch still und leise. Er fordert das sogar ein: Neulich spielten Nano und Pixel (verbotenerweise) auf dem Bett das Krokodil-Spiel (das aufgerissene Maul schräg ins aufgerissene Maul des anderen schieben und dabei seltsame Geräusche machen), als Harry beschloss, sich an Nanos Bauch in die Rundung zu kuscheln. Bloß störte ihn, dass Nano nicht still lag, weil er ja spielte. Woraufhin Harry ihn wütend anknurrte. Damit war Ruhe.
Nano erweitert auf jeden Fall meinen Horizont. Galgos sind in vielerlei Hinsicht anders als andere Hunde: Wenn man bei ihnen zuviel Druck macht, drückt man sie buchstäblich weg. Steht Nano horchend am Rand des Unterholz, weil er darin Wild vermutet, drehe ich meine Schulter weg von ihm, beschreibe mit dem Arm eine Schiebe-Bewegung nach vorn und gehe mit dem Wort „Weiter!“ voran – dann kommt er. Wenn er zu lange braucht und noch bei der dritten Aufforderung nicht kommen, würde ich – bei jedem anderen Hund – hinter ihm hergehen und ihn tatsächlich körperlich schieben, indem ich direkt hinter ihm voran gehen und ihn in die richtige Richtung „treiben“ würde. Geht nicht beim Galgo: Er würde beschwichtigen, indem er voran rennen würde, eine Art vorgetäuschtes Jagdverhalten (auch, wenn gar nix zum Jagen da ist).
Ich rufe meine Hunde so gut wie nicht, wechsele dagegen, sobald ich merke, dass sie nicht sehr aufmerksam sind, andauernd die Richtung und die Wege. Das hat auch bei Nano dazu geführt, dass er mich möglichst immer im Auge behält, weil ich für ihn einfach nicht berechenbar bin. Dadurch ist sein Radius deutlich begrenzter geworden, seine kleinen Abstecher ins Unterholz sind kurz und übersichtlich (längere kann er sich nicht leisten – könnte ja sein, dass er mich anschließend nicht mehr findet). Ich gebe zu, dass ich mich dafür auch ein paar Mal in Gräben und ins hohe Gras geworfen habe – irgendein Radfahrer erschrak zu Tode, weil er glaubte, ich hätte einen Ohnmachtsanfall (kommt mit fortschreitender Vergreisung ja durchaus vor), und war dann völlig verwirrt, als ich ihm flüsternd mitteilte, er solle bitte machen, dass er weg käme, ich würde gerade meine Hunde erziehen.
Außerdem spreche ich seinen Namen nur leise oder flüsternd aus – dadurch hört er einfach unendlich viel besser zu.
Das Spielverhalten von Galgos ist grob. Nano ist zwar vorsichtig mit kleineren Hunden – das hat ihm Harry auch schnell beigebracht -, aber er fährt sich viel schneller hoch, als die meisten anderen Hunde, und kommt von seinem Adrenalin dann nicht mehr so ohne Weiteres herunter. Was manche Hunde, die ihn nicht kennen, einigermaßen beunruhigt und die Herrchen oder Frauchen dazu wirklich erschreckt (und ich bin einfach nicht der Typ, der fremden Leuten zuruft: „Nein, nein, der tut nix! Der will nur spielen! Es sieht nur so aus, als würde er den ganzen Kopf Ihres Hundes ins Maul nehmen, er meint das nicht so!“).
Also üben wir jetzt ein „Stopp!“-Signal. Das müssen wir noch üben, aber wir fangen schon mal in dem kleinen Rahmen unseres Wohn- oder Arbeitszimmers an: Wenn Nano mit einem der anderen Hunde (ruhig und ohne Adrenalin) spielt, mache ich mich groß, indem die Arme hochnehme und mich aufblase und sage: Stopp! Wenn das Spiel unterbrochen wird: Brav. Wenn das erst einmal klappt, unterbreche ich auf diese Weise Spiele im Garten. Und dann im Wald. Und so weiter. Bis Nano eines Tages zum besterzogenen Galgo der Welt wird.
Sein Fell glänzt wie mit Lack übergossen, die Löcher entlang der Wirbelsäule bis zum Ende seiner Rute sind komplett verschwunden (ich weiß jetzt auch, warum seine Rute im Verhältnis zu anderen Galgos relativ kurz ist: Sie ist abgeschlagen. Es fehlen einfach 15 Zentimeter). Er wiegt 24 Kilo – statt der 17 Kilo, mit denen er hier ankam – und hat noch immer kein Gramm Fett, ist aber ein echtes Muskelpaket. Seine Ohren, die ich anfangs für Lederohren hielt, weil sie komplett haarlos waren, sind gleichmäßig behaart, weich und ohne Ohrrandekzem. Seine Verdauung ist 1A. Er ist nicht mehr futterneidisch, sondern frisst auch hochwertige Dinge wie Puten- oder Gänsehälse, Markknochen oder getrockneten Pansen in schönster Eintracht zwischen allen anderen, inklusive Besuchshunden.
Und das Allertollste: Er stiehlt nicht. Außer Leberwurst. Aber sonst überhaupt nichts. Käse, Abendessen, Kekse, Schokolade kann alles auf dem Tisch stehen: Er kümmert sich nicht darum.
Dafür wälzt er sich in jedem Haufen, jedem toten Fisch, jedem toten Maulwurf und jeder toten Maus, jedem Schlammloch. Aber irgendein Laster muss man ja haben. Dafür raucht und trinkt er nicht. Ist ja auch was.